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graphen, die je gelebt haben, Anlaß zu einer besonderen
Schrift, der in der Weltliteratur einzigartig dastehenden Ger¬
mania, gab. Die Sitze dieser gewaltigen Hrfultur waren
wesentlich die »Vestadeländer der Ost- und Nordsee vor den
großen Wanderungen; im Norden hat sie sich auch am
längsten erhalten; ihre Kunst erfuhr hier seit dem 7. und
8. Jahrhundert etwa ein weites Ausleben in einem Barock,
in dessen Charakter z. B. neuere norwegische Holzfunde
(Gostad u. a.) einen erstaunlichen Einblick gewahren.
Deutlicher muß für unsere Zwecke schon das Wesen des
deutschen Mittelalters gekennzeichnet werden, da ohne Kenntnis
des zwischen ihm und der Neuzeit bestehenden Gegensatzes
ein volles Verständnis der Neuzeit nicht gewonnen werden
kann. Zunächst sind in ihm alle die Kennzeichen vorhanden,
welche die fortschreitende Forschung in den Mittelaltem aller
anderen Völker immer wieder aufsrnöes^mder Anschauung
ein langsames Vordringen bis zur erHMungsmäßigen
Wiedergabe des Einzelgegenstandes, aber noch keine Klarheit
über die wirklichkeitsgemäße Wiedergabe der Gegenstände als
eines Ganzen und demgemäß auch nur die Anfänge einer nach
unserer heutigen Auffassung noch immer ungeordneten Per¬
spektive : und ein allgemeiner Stand des künstlerischen Ver¬
mögens auf allen Gebieten, der dieser Haltung im Bereiche
der bildenden Kunst entspricht; — im Denken ein Ver¬
harren im Analogieschluß unter Unkenntnis der höheren
Bedeutung des induktiven Schlusses, demgemäß Wunder¬
glaube und die entsprechenden philosophischen und religiösen
"""Anschauungen und eine unbedingte Herrschaft der Kirche; —
auf sittlichem Gebiete noch geringes Maß der Selbst¬
beherrschung, und darum die Bindung der sittlichen Hand¬
lungen an Form und Inhalt des Rechts, und hieraus
wiederum, insoweit religiöse und sittliche Lebensformen zu¬
sammentrafen, eine Verrechtlichung des religiösen Lebens zu