— 16 —
wird die Einzelperson auf eine stark veränderte und befreiende
Grundlage gestellt Das Denken bedient sich immer mehr
des induktiven Schlusses, dessen erste, auf schon reichem Ver¬
ständnis beruhende Lehre nunmehr aufgestellt wird, der
Wunderglaube verschwindet langsam — wenn auch lang¬
samer, als wir zumeist annehmen —, die freie Wissen¬
schaft findet wenigstens in den Naturwissenschaften Bahnen
selbständigen Vorgehens, und eine von dem religiösen Be-
tenntnis schon ziemlich abweichende Weltanschauung, eine
freiere phllosophische Spekulation, erwächst auf diesem
Grunde. Nicht minder verändern sich, in einer uns allen
wohlbekannten Weise, die religiösen Grundlagen. In beiden
Bekenntnissen, katholischem wie evangelischem, wird die
Stellung der einzelnen Person grundsätzlich oder wenigstens
praktisch freier; theoretisch ist die fast volle Befreiung in den
evangelischen, vor allem dem reformierten Bekenntnis durch¬
geführt. Dem geht auch eine andere sittliche Auffassung zur
Seite. Die mittelalterlichen Formen erweichen sich, wenn auch
vielfach die rechtliche Durchbildung sittlicher Verhältnisse noch
bestehen bleibt; in der öffentlichen Sittlichkeit werden die An¬
fänge des Völkerrechts gewonnen. Es versteht sich über¬
haupt, daß schon aus dem Motiv des veränderten Denkens
heraus das ganze Leben, Charakterbildung und praktisches
Handeln, ein anderes wird; besonders deutlich läßt sich das
in der äußeren Politik, Diplomatie und Heerführung, be¬
merken. Auch die Anschauung und das Gefühl wird ein
anderes. In der Anschauung setzt sich allmählich ein viel
tieferes Verstehen der Gegenstände der Außenwelt durch; sie
werden nicht mehr einfach erfaßt, sondern als Ganzes: so
erwachsen die Fragestellungen nach der Lösung der Linear¬
perspektive und nach der Wiedergabe des Lichtes als des
alle Gegenstände verbindenden Elementes. Im Gefühl aber
wird der einzelne bei weitem mehr, als Bisher, auf sich