Full text: Deutscher Aufstieg 1750 - 1914

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wird die Einzelperson auf eine stark veränderte und befreiende 
Grundlage gestellt Das Denken bedient sich immer mehr 
des induktiven Schlusses, dessen erste, auf schon reichem Ver¬ 
ständnis beruhende Lehre nunmehr aufgestellt wird, der 
Wunderglaube verschwindet langsam — wenn auch lang¬ 
samer, als wir zumeist annehmen —, die freie Wissen¬ 
schaft findet wenigstens in den Naturwissenschaften Bahnen 
selbständigen Vorgehens, und eine von dem religiösen Be- 
tenntnis schon ziemlich abweichende Weltanschauung, eine 
freiere phllosophische Spekulation, erwächst auf diesem 
Grunde. Nicht minder verändern sich, in einer uns allen 
wohlbekannten Weise, die religiösen Grundlagen. In beiden 
Bekenntnissen, katholischem wie evangelischem, wird die 
Stellung der einzelnen Person grundsätzlich oder wenigstens 
praktisch freier; theoretisch ist die fast volle Befreiung in den 
evangelischen, vor allem dem reformierten Bekenntnis durch¬ 
geführt. Dem geht auch eine andere sittliche Auffassung zur 
Seite. Die mittelalterlichen Formen erweichen sich, wenn auch 
vielfach die rechtliche Durchbildung sittlicher Verhältnisse noch 
bestehen bleibt; in der öffentlichen Sittlichkeit werden die An¬ 
fänge des Völkerrechts gewonnen. Es versteht sich über¬ 
haupt, daß schon aus dem Motiv des veränderten Denkens 
heraus das ganze Leben, Charakterbildung und praktisches 
Handeln, ein anderes wird; besonders deutlich läßt sich das 
in der äußeren Politik, Diplomatie und Heerführung, be¬ 
merken. Auch die Anschauung und das Gefühl wird ein 
anderes. In der Anschauung setzt sich allmählich ein viel 
tieferes Verstehen der Gegenstände der Außenwelt durch; sie 
werden nicht mehr einfach erfaßt, sondern als Ganzes: so 
erwachsen die Fragestellungen nach der Lösung der Linear¬ 
perspektive und nach der Wiedergabe des Lichtes als des 
alle Gegenstände verbindenden Elementes. Im Gefühl aber 
wird der einzelne bei weitem mehr, als Bisher, auf sich
	        
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