Full text: Blüchers Zug von Auerstedt bis Ratkau und Lübecks Schreckenstage (1806)

zu meinem größten Erstaunen das ganze Haus leer; was 
sollte ich tun? Einen Hausschlüssel, um das Haus zuzuschließen 
und wegzugehen, hatte ich nicht, ich blieb also, riegelte das 
Haus zu und begab mich wieder auf meine Stube — und 
welche Szene stellte sich nun meinen Hugen dar! Das haar 
sträubte sich empor und Zieberfrost ergriff mich, meine Knie 
schlotterten, ich wollte sinken. Neuer Kanonendonner, immer 
mehr zunehmendes wildes Geschrei und neues Gebrüll der 
Fallenden rissen mich wieder empor, und mein Nervensystem 
wurde unwillkürlich gespannt, diese Szene des Schreckens in 
einer Art von Betäubung mit anzusehen, wie wütende Hy¬ 
änen zerfleischten sich hier durch die Lande der Menschheit 
verbrüderte Menschen; man stieß sich die Bajonette in den 
Leib, säbelte und schoß sich nieder; auf Leichenhügeln, unter 
denen sich noch Lebende befanden, deren Todesangstgeschrei 
selbst das Schießen und Schreien der Kämpfenden übertönte, 
standen die vor Wut schäumenden Krieger, die mit der un¬ 
beschreiblichsten (Erbitterung gegeneinander fochten. 
Starr und auf einen Punkt war mein stuge gerichtet, als 
sich die fechtende Masse verlor und nur einzelne hin und wieder 
sich noch fanden, die um den teuren Preis, das Leben zu ret¬ 
ten, miteinander kämpften. 
Plötzlich wurde die Tür des Hauses, in welchem ich mich 
befand, eingeschlagen; ich eilte, ohne zu wissen, was ich tat, 
die Treppe hinunter, und zwei flüchtende Preußen standen 
vor mir und baten, um Gottes willen sie zu verbergen und 
ihnen das Leben zu retten. Ich sah sie starr an und konnte 
nicht antworten, so sehr hatte sich der Schreck meiner bemu¬ 
stert. Schon sammelten sich meine Sinne wieder etwas, und 
ich war im Begriff, sie womöglich zu retten, als fünf Franzosen 
hereinsprangen, deren einer mich sogleich bei der Brust faßte 
und die schrecklichsten Schimpfwörter gegen mich ausstieß: 
„Du Kujon, du Hund, was willst du mit diesen Bestien tun?" 
und während er mich zu Boden warf und mir das Bajonett 
auf die Brust setzte, schwammen die armen beiden Preußen 
schon in ihrem Blute. Mit Säbelhieben machten sie sie auf 
die schrecklichste Art vor meinen flugen nieder, mich hingegen 
mißhandelten sie mit Kolbenstoßen und verlangten mein Geld 
und alle Sachen von wert, wie Uhren und Silbergeräte. 
Ich bat und flehte, soviel ich konnte, und beteuerte ihnen, 
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