Full text: Deutsche Geschichte vom Ende des Großen Krieges bis zum Beginne des zwanzigsten Jahrhunderts

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Dies Verfahren hing zusammen mit der Steuerreform, die Bismarck 
vorhatte. Er wollte die Steuerlast des Volkes erleichtern und dabei doch dem 
Reiche neue Einnahmequellen verschaffen. Er glaubte, sein Ziel durch die 
stärkere indirekte Besteuerung zu erreichen, durch Zölle und durch Monopole. 
Doch konnte er hierfür im Reichstage keine Mehrheit erlangen. Es wurden 
nur die Erhöhung des Einfuhrzolles auf eine Reihe ausländischer Waren und 
neue Zölle aus fremdes Eisen, Holz und Getreide bewilligt (1879). 
Ter Kampf gegen die Sozialdemokratie. Schwere Kämpfe im 
Innern standen dem Reichskanzler bevor. 
Die Arbeiterklasse war immer noch zahlreicher geworden. Sie hatte 
sich den Arbeitgebern gegenüber zu Verbänden zusammengetan mit eigenen 
Kassen zu gegenseitiger Unterstützung. Ihre anfangs gemachten Forderungen 
gingen aber mit der Zeit über das Erlaubte und Mögliche hinaus. Schließlich 
verschmolzen die meisten Vereinigungen zu einer großen Partei, die sich die 
SoziaÜstische Arbeiterpartei (Sozialdemokraten) nannte und alle be¬ 
stehenden Verhältnisse umzugestalten trachtete. Zwei Mitglieder dieser Partei 
gingen sogar soweit, sich an dem Leben des greisen Kaisers Wilhelm zu 
vergreisen. Der eine, ein Klempnergeselle, schoß im Mai 1878 zu Berlin 
auf den greisen Herrscher, glücklicherweise ohne ihn zu verletzen. Aber drei 
Wochen später traf ein verkommener Gelehrter ebenfalls zu Berlin mit einer 
Schrotflinte den Kaiser fast zu Tode. Monatelang lag der allverehrte Herr 
auf dem Schmerzenslager und konnte nur durch die sorgsamste Pflege am 
Leben erhalten werden. 
Durch das ganze deutsche Land ging ein Entrüstungsschrei über die 
Freveltaten. Bismarck machte die gesamte sozialdemokratische Partei für die 
Attentate verantwortlich. Mit Gewalt wollte er sie unterdrücken. Durch ein 
Reichsgesetz, das Sozialistengesetz genannt, wurden alle sozialdemokratischen 
Vereine aufgehoben, die sozialdemokratische Presse unterdrückt, die sozial¬ 
demokratischen Bücher verboten oder vernichtet. Die Sozialisten wurden mit 
Geld- oder Gefängnisstrafen belegt, oder ausgewiesen und verbannt. 
Die soziale Gesetzgebung. Aber der Kanzler blieb bei diesen Ma߬ 
nahmen nicht stehen. Er sah ein, daß von Staats wegen gegen die 
Notlage des Arbeiterstandes eingeschritten werden müsse. Kaiser Wilhelm 
stimmte darin ganz mit ihm überein. Auf feinen Befehl trug (1881) Bis¬ 
marck dem Reichstage die berühmte kaiserliche Botschaft vor, in welcher ver¬ 
kündet wurde, daß der Kaiser die Reform der Verhältnisse zum Wohle der 
Arbeiterklasse durch besondere Gesetze in die Hand nehmen wolle. Bismarck 
hielt bei dem Reformwerke an der Meinung fest, man dürfe die Arbeitgeber 
in ihrer Stellung nicht beschränken, weil man dadurch die Industrie schädige; 
man dürfe auch die Arbeitszeit nicht beschränken, weil man dadurch den 
Arbeitern den Lohn verkürze. Der Kanzler erblickte das Hauptunglück der 
Arbeiter in der Unsicherheit ihres Daseins, und deshalb schien ihm zweierlei 
nötig, um diesem Unglück abzuhelfen, wie es auch in der Botschaft ausgedrückt 
war. Das eine war die Versorgung des Arbeiters, wenn er krank und 
alt wurde, das andere die Beschaffung von Arbeit von Staats wegen, 
wenn er sonst keine finden konnte. Das „Recht auf Arbeit" erkannte Bismarck 
allen Arbeitern zu. Also Arbeiterversicherung und Arbeiterbeschäftigung
	        
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