Full text: Vom Kurhut bis zur Kaiserkrone

gehangenen Zettel aller Berliner Theater. Tann trat er sofort 
ins Arbeitszimmer, woselbst die Mappen der verschiedenen Behörden 
schon bereit liegen mußten. Bei verschlossenen Berichten benützte 
er stets die alten Briefumschläge zum zweiteumal nnd siegelte sie eigen¬ 
händig zu. Briefe, welche nicht aufbewahrt werden sollten, zerriß 
er bis auf das kleinste Stückchen. Bekannt ist, wie schwer der 
Herrscher ein gebrauchtes, ihm liebgewordenes Stück abzulegen 
zu bewegen war. So benützte er z. B. mit Vorliebe kleine weiße 
Taschentücher mit einem gestickten W und einer Krone, die er noch 
von der Königin Luise erhalten hatte. Vom Zahn der Zeit an¬ 
genagt, mußten dieselben stets wieder sorgfältig ausgebessert werden. 
Alles, was vou der teuren Mutter stammte, hielt er hoch und 
heilig: einen kleinen, aus ihrem Haar gefertigten Ring legte er 
nie ab und war tief unglücklich, als derselbe ihm einmal vom 
Finger gefallen und nicht gleich wiederzufinden war. Das zweite 
Frühstück bestaud aus etwas kaltem Aufschnitt oder aus Kotelett mit 
Eiern, und im letzten Jahrzehnt trank er anstatt eines Glases Mosel¬ 
wein ein Glas Champagner dazu. Das Mittagsmahl, dessen Speisekarte 
von den Ärzten zusammengestellt wnrde, ehe sie zur Vorlage kam, mußte 
eiusach sein; der Kaiser aß gern, wie man zu sagen pflegt: Haus¬ 
mannskost. Sehr häufig speiste er allein; der Diener brachte die 
Schüsseln, der hohe Herr legte sich selbst vor und klingelte, wenn 
er eineu neuen Gang wünschte; meist trank er zu Tisch einige 
Gläser mit Selterswasser gemischten Rotwein. Nach Tisch kam 
die Kaiserin, deren im ersten Stock gelegene Gemächer durch 
einen Fahrstuhl mit dem Bibliothekszimmer in Verbindung standen, 
meist hinab und blieb einige Zeit im Arbeitszimmer, wobei die 
beiden greisen Herrschaften wohl auch Arm in Arm, jedes anf 
einen Stock gestützt, im Zimmer umhergingen. Ein „Mittags¬ 
schläfchen" kannte der Kaiser in früheren Jahren nicht, erst in 
letzter Zeit kam es wohl vor, daß er beim Lesen der Zeitungen ein¬ 
schlummerte ; er sah es aber sehr ungern, wenn es bemerkt 
wurde. Am Abend fuhr der Monarch fehr gern ins Theater, 
wenn auch nur für kurze Zeit. Wenn er beim Fortfahren eine 
bequeme Feldmütze und einen Stock genommen hatte, so ließ er 
sich bei der Rückkehr, sobald auch nur eine Dame zum Besuch 
im Palais war, ehe er sich zur Kaiserin begab, stets Helm und 
Degen reichen. Abends nahm der Monarch den Thee gern bei 
seiner Gemahlin; es wurden ihm zwei Tassen mit Thee ver¬ 
schiedener Sorte präsentiert, welche er beide kostete, von denen 
er aber nur eine behielt. Dazu genoß er meist etwas Biskuit. 
War die Großherzogin von Baden, deren Gemächer im westlichen 
Teile des Palais lagen, in Berlin, so wurde der Thee auch dort 
eingenommen. In den letzten Jahren jedoch richtete es die vor-
	        
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