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allen wichtigen Punkten wurden Schanzen aufgeworfen und in endlosen Linien dop¬
pelte, ja, dreifache Schützengräben gezogen. Die Gartenmauern wurden mit Schie߬
scharten versehen, und wo es sonst kein Deckungsmittel gab, errichtete man aus Fässern,
Balken, Hundehütten, Matratzen u. s. w. Barrikaden. Durch fortwährendes Feuern
suchten die Franzosen alle diese Arbeiten zu stören; und wo nur eine Helmspitze, eine
Lanze auftauchte, wo in ber Dunkelheit ein Fenster erleuchtet war, ober ein Solbat
sich bie Cigarre anzündete, bahin sanbten sie sofort ihre Granaten. Die Deutschen
aber machten sich über biefe Pulververschwenbung lustig, steckten Strohmänner in alte
Uniformen, verfertigten Geschützmündungen ans Pappe unb lachten sich halbtot, wenn
bie Franzosen wie wütenb aus Pappe unb Stroh losknallten: sie sparten ihr Pulver
für eine bessere Gelegenheit.
2. Im Quartier. Die Bewohner der umliegenden Ortschaften hatten sich beim
Herannahen der Deutschen nach Paris geflüchtet. Hans und Hof standen leer, und
außer Hund oder Katze war oft kein lebendes Wesen zurückgeblieben. Die Soldaten
aber machten es sich in den verlassenen Häusern so bequem als möglich. Hier und
da wohnten die Mannschaften in prächtigen, aber verlassenen Schlössern. Da blitzen
die Wände von Spiegeln; der Fußboden ist mit Teppichen belegt, mtb auf ben weichen
Sofas ruht es sich recht behaglich. Die Gärten bieten Obst, Gemüse unb Kartoffeln,
in ben Kellern sind große Weinvorräte; Brot unb Wein wirb reichlich geliefert, unb
an „Stebenscigarren" ist auch kein Mangel. Das Leben wäre hier ganz erträglich
gewesen, wenn nur nicht fortwährenb ber Kanonenbonner dazwischen gebrummt und
der Borpostenbienst die, behagliche Ruhe gestört hätte.
3. Kampf und Übergabe. In Paris hatte man wohl an 300 000 Mann,
zum größten Teile Mobilgarden (eine Art Landwehr), zusammengezogen. Bald hier,
bald dort wurde ein Ausfall gemacht, aber immer wurden die Franzosen von den
Deutschen zurückgeschlagen. Die Pariser lebten in großer Angst. Keinen Abend mehr
brannten sie Gas, aus Furcht, eine Bombe könne einschlagen. Aber erst um Weih¬
nachten begann bie eigentliche Beschießung. Ein Außenwerk nach dem andern wurde
zum Schweigen gebracht, und immer enger zog sich der Kreis um die Stadt zusammen.
An 20 000 Granaten wurden täglich in die Stadt hineingeworfen, und an verschie¬
denen Orten entstand Feuer. Schlimmer aber noch war der Mangel an Lebensmitteln,
der sich bald einstellte. Schon seit Mitte Dezember war Pferdefleisch ein Leckerbissen
geworden, man verschmähte weder Hund noch Katze und zahlte für eine Ratte sogar
1 — 2 JL Auch an Holz und Kohlen fehlte es, und der Winter war bitter kalt. Krank¬
heiten aller Art stellten sich ein, ganz besonders wüteten die Pocken. Kein Stand, feine
Familie blieb von den Leiden und Entbehrungen der Belagerung verschont. Von Tag
zu Tag wurde die Not größer. Noch einmal, am 19. Januar, sollte ein Rettungs¬
versuch gemacht werden. Ungeheure Truppenmassen versuchten in westlicher Richtung
den Durchbruch. Aber die Deutschen hielten hinter den Schanzen wacker stand. Am
Abend mußten die Franzosen wieder zurück; der eiserne Ring blieb geschlossen. Endlich
sahen die Pariser ein, daß längerer Widerstand nutzlos sei. Am 28. Januar ergab
sich die Stadt; die ganzen Besatzungsmannschaften wurden zu Gefangenen gemacht,
dazu mußten 200 Mill. Franken Kriegskosten von der Stadt gezahlt werden.
4. Überall Sieg. Während der Belagerung von Paris hatte der König sein
Hauptquartier in dem königlichen Schlosse zu Versailles. Fast täglich gingen Nach¬
richten von neuen Siegen ein. Schon am 27. September war Straßburg gefallen
unb einen Monat später mußte sich auch Bazaine mit 173 000 Mann in Metz er¬
geben. Gambetta hatte versucht, mit feinen Mobilgarden Paris zu befreien, aber ver¬
gebens; er war bei Orleans fast vernichtet worden. Auch die Franktireurs (Freischützen),
die das Land durchstreiften und in Wald und Feld den Deutschen auflauerten, konn¬
ten Frankreich nicht mehr retten. Im Norden wie im Süden, überall drangen die