Erzählungen.
Das Testament eines deutschen Königs.
Ls war Spätherbst. Klar und rein strahlte die Sonne vorn
tiefblauen Himmel herab. Bäume und Büsche waren bis auf einige
welke Blätter ihres Schmuckes beraubt. Ein warmer Südwind
strich über das Land und lockte die Leute ins Freie. Auch in der
weilburg, der königlichen Pfalz, die einst stolz auf einem steilen
Berge am Ufer der Lahn sich erhob, war man ob des schönen
Vetters recht erfreut. Die Mittagsstunde war vorüber; auf der
Freitreppe vor dem Herrenhaus erschienen zwei Diener mit Fellen
und Teppichen und hinter ihnen folgten noch vier Diener; sie trugen
in einer Sänfte einen Kranken heraus. An der Steinbank vor
der Linde hielten sie an. Die zwei ersten Diener breiteten die Tep¬
piche auf die Bank und die Felle auf die Erde, die andern halfen
dem Kranken aus der Sänfte und setzten ihn auf die Bank doch so,
daß sich der Kranke an den Lindenstamm anlehnen und das rechte
Bein ausgestreckt lassen konnte. Die Sänfte wurde zurückgestellt
und die Diener verließen ihren Herrn, nur ein alter, bärtiger ITC amt
blieb bei dem Kranken zurück.
Der Kranke war König Konrad — er hatte am rechten Bein
eine wunde und die wollte nicht heilen. Monate waren schon seit
jenem Tage vergangen, an dem er durch einen Schwertschlag ver-
J- mundet ward. (Es geschah bei der Belagerung von Regensburg.
Am Hofe weilte Marzellus, der Mönch von St. Gallen, er brachte
alle seine Heilkünste in Anwendung. Auch heute ging er nach dem
Mittagsmahl in die Küche, um eine Salbe aus Kümmel, Salbei,
Fenchel und Bockshorn zu bereiten.
Der König unter der Linde atmete leicht im warmen Sonnen¬
schein, aber sein Herz bedrückten schwere Sorgen: Seit sieben fahren
König und jedes Jahr Krieg und Kampf, auch jetzt noch keine Aus¬
sicht auf Frieden. Herzog Arnulf herrscht über Bayern und will
11 nichts wissen von einem Herrn über sich. )n Schwaben zieht Graf
10 Burchard von (Drt zu Drt, sammelt die Unzufriedenen um feine
Fahne und bereichert sich mit Burgen und Schlössern. Heinrich,
■& der Herzog von Sachsen, steht unbesiegt da. Seine Macht ist dem
König ein Dorn im Auge und doch vermag er nichts gegen ihn.
Und die letzte Nachricht, die ihm feine Boten brachten, war die: