Full text: Im späten Mittelalter (H. 4)

Der Dombaumeister zu Köln. 
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Mit spöttischem Lächeln sagte Gerhard: „Li, so getraut ihr 
euch auch wohl ein Werk zu schaffen wie dieses?" 
„Weshalb nicht!" meinte der Unbekannte, und ein Blitz fuhr 
aus feinen schwarzen Augen hervor. „Vielleicht noch ein schwie¬ 
rigeres." 
„Und welches werk könnte das fein?" fragte jener noch spöt¬ 
tischer als zuvor. 
„Trotz aller Hindernisse vermag ich es, von der fern gelegenen 
Stadt Trier einen unterirdischen Bach bis hierher zu leiten, ehe ihr 
dieses Bauwerk vollendet haben werdet." 
Meister Gerhard lachte hell auf und rief: „)hr nennt euch 
einen Meister im Handwerk, und ihr redet so unsinnig! Dies wird 
euch nimmer möglich fein!" 
„Seit) ihr willens, darauf eine Wette einzugehen?" fragte 
jetzt der andere, und ein listiger Zug stahl sich über fein finsteres, 
fchwarzbraunes Gesicht. 
„3a, wenn der Einsatz ein hoher ist," erwiderte Gerbard. 
„Er soll hoch fein." 
„ So nennt ihn." 
„Eure Seele," lautete die Antwort. Der Meister erschrak. 
Aber gleich darauf brach er wiederum in ein Helles Lachen aus. 
„Topp! Ls gilt!" rief er. „Ich weiß, wer ihr seid, aber ich fürchte 
mich nicht vor euch, und ich verlache eure Großtuerei! Ls ist nicht 
das erste Mal, daß ein Menschenkind euch eine Nase gedreht hat, 
und dies soll auch von mir geschehen. Geht und überwindet alle 
Hindernisse, durchgrabt die Berge des Mosel- und des Rheinlandes, 
durchwühlt den Erdboden vom fernen Trier bis nach Köln und schaut 
alsdann, ob durch euren unterirdischen Bach das Wasser einher¬ 
fließen wird. Gehabt euch wohl!" 
Der Unbekannte stutzte bei diesen Worten und war im nächsten 
Augenblicke verschwunden. 
Obschon der Steinmetz völlig überzeugt war, daß das Be¬ 
ginnen des Bösen fruchtlos fein würde, so ward er dennoch von 
einer sonderbaren Traurigkeit befallen, die ihn nicht mehr verließ. 
Oftmals stand er müßig und in tiefes Sinnen versunken 
vor feinem Werke, und aus dem selbstbewußten, hochmütigen Manne 
war ein mürrischer geworden, den auf Erden nichts mehr zu er¬ 
freuen schien. Selbstverständlich konnte sein geistiger Zustand 
feinem guten Weibe, das ihn auf das innigste liebte, nicht ver¬ 
borgen bleiben. 
Es drang in ihn, ihm doch die Ursache feiner Bekümmernisse 
mitzuteilen, damit er fein Herz erleichtere. Aber der Meister er¬ 
füllte nicht die Bitten feiner Gattin.
	        
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