196 Zweiter Zeitraum.
Dorf befehligte jetzt das preußische Hilfsheer, das als Teil des
Macdonaldschen Korps die Aufgabe erhielt, die Trümmer der großen Armee
im Rücken zu decken. Da geriet der in Ehren ergraute General in einen
schweren Kampf. Das russische Heer war ihm hart auf deu Fersen; die
Führer desselben, zum Teil frühere preußische Offiziere, ermahnten ihn, von
dem gemeinsamen Feinde abzufallen. Sollte er seine Truppen für den Tod¬
feind opfern? Sollte er seinem Könige den Gehorsam versagen? Er fragte
wiederholt in Berlin an, erhielt aber nur die Antwort, er möge den Um¬
ständen nach handeln. Als er dann ein Schreiben Kaiser Alexanders empfing,
worin dieser versicherte, er wolle mit dem Könige ein Bündnis schließen und
die Waffen nicht eher niederlegen, als bis Preußen in dem Umfange von 1805
wiederhergestellt sei, da schloß er iu der Poscheruner Mühle bei Tauroggen
(30. Dez. 1812) mit den russischen Unterhändlern einen Vertrag ab, nach
welchem sein Korps, um weitere Befehle zu erwarten, iu die Gegend zwischen
Memel und Tilsit zurückgehen und, falls der König die Übereinkunft
nicht bestätigen werde, zwei Monate lang am Kampfe gegen Rußland nicht
teilnehmen sollte. Darauf kündigte Jork den Franzosen den Gehorsam;
seinem Könige aber schrieb er: „Ew. Majestät lege ich willig meinen Kopf
zu Füßen, wenn ich gefehlt haben sollte. Jetzt oder nie ist der Zeitpunkt,
wo Ew. Majestät sich von den hochmütigen Forderungen eines Alliierten
losreißen können, dessen Pläne mit Preußen in ein mit Recht Besorgnis
erregendes Dunkel gehüllt waren ... In dem Ausspruche Ew. Majestät
liegt das Schicksal der Welt."
7» Der Befreiungskrieg von 1813 und 1814,
Die Erhebung des deutschen Volkes.
„Jetzt oder nie!" so dachten damals alle; dennoch konnten die jammer¬
vollen Trümmer der großen Armee unangefochten durch Deutschland heim¬
kehren: deutsche Gutmütigkeit rettete dem Feinde Tausende von Kriegern,
unter ihnen die große Mehrzahl der Offiziere. Preußen befand sich noch
immer in einer gefährlichen Lage. Es war von französischen Truppen stark
besetzt und hatte selber nur geringe Streitkräfte zur Verfügung; Österreich
konnte ein Wied er erstarken Preußens nicht wünschen und hielt sich noch zurück,
beide Mächte aber fürchteten die Übermacht Rußlands, das sich sofort zur
Eroberung Warschaus anschickte. Der König lebte in Potsdam von Fran¬
zosen umgeben; er mußte daher Iorks That vor der Welt verurteilen und
sandte einen Adjutanten ab, der Iorks Absetzung Murat und Dork selber
anzeigen sollte. Wie zu erwarten, ließen die Russen ihn nicht durch, und
er ging nun mit geheimen Aufträgen zu Alexander, um ihm Preußens Hilfe
in Aussicht zu stellen, sobald die Russen die Weichsel überschritten. Inzwischen
suchte Hardenberg durch Feste und Versprechungen äußerlich die Freundschaft
mit Frankreich aufrecht zu erhalten. Die Russen rückten in Königsberg ein,
Aork folgte ihnen und übernahm den Oberbefehl über die Provinz, den er
vor dem Kriege geführt hatte. Als er aus den Zeitungen seine Absetzung
erfuhr, legte er sein Kommando nicht nieder, weil sie ihm amtlich nicht mit-