1. Die Errichtung des Deutschen Reichs durch Kaiser Wilhelm den Großen. 279
erben sollten. Für die treue Unterstützung des Kaisers im Kampf gegen Türken und
Franzosen wurde sein Land 1692 zum Kurfürstentum Braunschweig - Lüneburg er¬
hoben, nach seiner Hauptstadt gewöhnlich Hannover genannt; daneben bestand das
Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel. Ernst Augusts Gemahlin war eine Gro߬
tochter Jakobs I. von England; daher bestieg sein Sohn als Georg I. 1714 den eng¬
lischen Thron. Seinem Stammlande Hannover gereichte diese Personalunion mit
England nicht zum Segen. Es mußte die Wandlungen der englischen Politik mit¬
machen und die Rache der Feinde Englands erdulden; seine Söhne bluteten im
englischen Interesse in allen Erdteilen. Die englischen Könige fühlten sich als Eng¬
länder und ließen ihr deutsches „Nebenland" von wenigen bevorzugten Familien ver¬
walten. Doch errichteten sie 1737 in Göttingen eine Universität, vergrößerten das
Kurfürstentum 1719 um die bis dahin schwedischen Stifter Bremen uud Verden,
1803 um das Bistum Osnabrück, 1814 um Ostfriesland, Meppen, Singen, Bentheim
und Hildesheim und erhoben das so vergrößerte Kurfürstentum zu einem Königreich.
Als 1837 der kinderlose König Wilhelm IV. starb, folgte ihm in England die Tochter
des nächstbesten Bruders, Viktoria, in Hannover, wo nur männliche Erbfolge gilt,
sein jüngster Bruder Ernst August.
Hessen, früher ein Teil des Herzogtums Franken, kam an den Prinzen
Heinrich von Brabant, den Stammvater des hessischen Fürstenhauses. Er erlangte
1292 vom Kaiser die Erhebung Hessens als Landgrafschaft zu einem erblichen Reichs¬
fürstentum und erbaute sich in Kassel eine Residenz. _ Seine Nachkommen dehnten
ihren Besitz über ganz Hessen aus; der tüchtigste vou ihnen war Philipp der Gro߬
mütige. Er führte die Reformation ein, gründete in Marburg die erste evangelische
Universität und war der Urheber und das eifrigste Mitglied des Schmalkaldischen
Bundes. Nach seinen: Tode wurde das Land geteilt; es bestehen seitdem Hessen-
Kassel und Hessen-Darmstadt nebeneinander. Während des Dreißigjährigen Krieges
war Hessen Schwedens treuester Bundesgenosse; dafür wurde es von den Kaiserlichen
furchtbar verheert. Im Siebenjährigen Kriege stand es auf feiten Preußens. Zur Zeit
des nordamerikauischeu Freiheitskrieges erlangte Landgraf Friedrich dadurch eine
traurige Berühmtheit, daß er den Engländern Tausende seiner Landeskinder gegen
hohe Summen zum Kriegführen lieh. 1802 wurde Hessen-Kassel zum Kurfürstentum
erhoben und gehörte dann jahrelang zum Königreich Westfalen. Nach den Befreiungs¬
kriegen hatte das Laud von der Willkürherrschaft feiner Kurfürsten viel zu leiden,
so daß es die Einverleibung in Preußen als eine Erlösung ansehen mußte.
Nassau an der unteren Lahn erhielt seinen Namen von einem Schlosse., Durch
Erbteilungen der Brüder Walram und Otto spaltete sich das gräfliche Haus in zwei
Linien; jenem gehörte Kaiser Adolf an (f 1298), diese erwarb durch Heirat große
Besitzungen in Luxemburg und in den Niederlanden, in Südfrankreich Dranien.
Wilhelm I. von Naffau-Orauien erwarb die Erbstatthalterwürde in den Niederlanden,
Wilhelm III. den englischen Thron und Wilhelm IV. den neugeschaffenen Königsthron
der Niederlande. Herzog Adolf von Nassau verlor 1866 sein Land an Preußen; er
gelangte aber 1890 in Luxemburg zur Regierung, nachdem der Mannesstamm von
Naffau-Oranien in den Niederlanden ausgeftorben war. Frankfurt, die alte freie
deutsche Reichsstadt, in der feit dem Ende des Mittelalters die deutschen Kaiser ge¬
wählt und später auch gefrönt wurden, die seit 1815 Sitz des deutschen Bundestages
war, wurde mit Hessen und Nassau zu einer Provinz Hessen-Nassau vereinigt.
Auch aus die innere Entwickelung Preußens übten die Erfolge der
letzten Wochen vorteilhaften Einfluß aus. Der König und seine großen Rat¬
geber wurden bei ihrer Rückkehr in Berlin mit begeistertem Jubel empfangen;
in immer weitere Kreise drang die Erkenntnis, daß die militärischen Erfolge
doch vor allem der vom Könige eingeführten neuen Wehrverfassung uud der
vorzüglichen Heeresleitung Moltkes, die diplomatischen aber dem Scharfblick
und den: eisernen Willen Bismarcks zu danken seien, und bald wurde dieser
jüngst noch so verhaßte Manu der Liebling des Volkes. Als dann die Ver¬
treter der siegreichen Armee unter dem Donner der Geschütze uud dem Ge-