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Dritter Zeitraum.
läute der Glocken durch das Braudenburger Thor einzogen, da kam in dem
nicht enden wollenden Jubel „die wahre Stimme des Volkes zum Ausdruck",
der auch die Volksvertreter Rechenschaft tragen mußten. Schon bei den
Neuwahlen zum Landtage hatten die Freunde der Regierung die Mehrheit
erlangt; als nun der König in hochherziger Weise den Landtag um In¬
demnität/ d. i. um nachträgliche Genehmigung der in den letzten Jahren
gemachten Staatsausgaben, bat, da nahm das Abgeordnetenhaus die darge¬
botene Friedenshand gern an. Ja, es fügte den Namen der verdienten Heer¬
führer, welche durch eine Dotation belohnt werden sollten, aus eigenem An¬
triebe den Namen des Grafen Bismarck hinzu. Um so freudiger konnte der
König jetzt die Aufgabe in Angriff nehmen, die norddeutschen Staaten in
einem Bunde zu vereinigen. Diese hatten schon durch besondere Verträge
dem Könige von Preußen die Militärhoheit abgetreten, im Februar 1867
wurde nun der aus allgemeinen, direkten Wahlen des Volkes hervorgegangene
Reichstag durch eine Thronrede des Königs Wilhelm eröffnet, die dem
Wunsche Ausdruck gab: „Möge durch unser gemeinsames Werk der
Traum von Jahrhunderten, das Sehnen und Ringen der jüngsten
Geschlechter der Erfüllung entgegengeführt werden!" Graf Bismarck
drängte immer wieder zur Eile. „Meine Herren," rief er den Abgeordneten
zu, „arbeiten wir rasch! Setzen wir Deutschland sozusagen in den Sattel!
Reiten wird es schon können!" Diesem Wunsche entsprechend wurde denn
auch in wenigen Wochen die Verfassung des Norddeutschen Bnndes fertig
gestellt. Alle 21 Staaten nördlich des Mains, auch Sachsen und der nördlich
vom Main gelegene Teil des Großherzogtums Hessen, fast dreißig Millionen
Deutsche, waren jetzt unter Preußens Führung vereinigt. Erbliches Oberhaupt
des Bundes war der König von Preußen. Er führte den Oberbefehl über
die gesamte Wehrkraft des Bundes und konnte in dessen Namen Krieg erklären
und Frieden schließen. Die Vertreter der Regierungen bildeten den Bundes¬
rat, der die Gesetze vorzubereiten und zu genehmigen hatte; das Volk hatte
Anteil an der Gesetzgebung durch den aus allgemeinen, direkten Wahlen
hervorgegangenen Reichstag. Graf Bismarck wurde Bundeskanzler. Die
Vertretung nach außen, das Münz- und Zollwesen, Post und Telegraphie,
Heimats-, Handels- und Strafrecht war allen Bundesstaaten gemeinsam; die
allgemeine Wehrpflicht wurde auf das ganze Bundesgebiet ausgedehnt.
Die meisten europäischen Völker mißgönnten Deutschland diese Erstarkung,
am meisten die Franzosen, die es ihrem Kaiser nicht verzeihen konnten, daß
er Preußen auf seiner Siegesbahn nicht rechtzeitig gehemmt oder doch wenig¬
stens auch für Frankreich einen Ländergewinn erworben hatte. Ihr Ärger
wuchs noch, als um diese Zeit die von König Wilhelm mit den süddeutschen
Staaten abgeschlossenen Verträge zu Schutz und Trutz bekannt wurden.
Napoleon hatte 1863 ein Heer nach Mexiko gesandt, um dort ein von
Frankreich abhängiges Reich zu gründen, und 1864 den Erzherzog Maxi¬
milian von Österreich zum Kaiser von Mexiko wählen lassen. Als er aber
seine Trnppen aus Mexiko zurückzog, wurde Maximilian von den Republi¬
kanern besiegt, gefangen genommen und erschossen. Dieser Ausgang ver¬
schlimmerte Napoleons Lage noch mehr, und unruhig sah er sich nach einem