Full text: Lesebuch aus Gustav Freytags Werken

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Das Mittelalter. (1100—1250.) 
davon haben sich im Volk bis zur Neuzeit erhalten. Es mag mit 
dieser Sitte zusammenhängen, daß im Hofhalt häufig je zwei der 
Dienenden gesellt wurden, sie aßen aus einer Schüssel, erhielten 
zusammen ihren Trunk und schliefen oft auf demselben Bett. 
Die Zucht, welche der Knabe erlernte, war zunächst gesittetes 
Verhalten in Rede und Haltung, vor allem bei Essen und Trinken. 
Zahlreiche Lehren, welche zum größten Teil aus frühem Mittelalter 
stammen, wurden in Verse gefügt und auswendig gelernt. Die 
„Tischzuchten" z. B. befahlen: man soll hübsch die Nägel beschneiden 
— was auch deshalb wünschenswert war, weil man vor dem 15. 
Jahrhundert keine Gabeln gebrauchte und den Fingern bei Tische 
dreiste Eingriffe nicht wehren konnte; — man soll vor dem Essen 
sagen: „Segne es Jesus Christ," soll am Tische nicht den Gürtel 
vom Bauch schnallen, nicht das Brot beim Schneiden an die Brust 
stemmen, nicht mit dem Finger in Senf, Salz und in die Schüssel 
stoßen, sondern die Speisen, die man aus der Schüssel holt, mit 
einem Löffel oder einer Brotkruste anfassen, die man vorher mit 
der Hand und nicht mit dem Munde zugespitzt hat; wer die Speisen 
mit Brot angreift, foll die Krumen behüten, wenn er mit einem 
andern ißt, daß sie nicht in die Schüssel fallen. Niemand soll aus 
der Schüssel trinken, nicht abbeißen und wieder in die Schüssel 
legen, nicht zwei sollen einen Löffel gebrauchen, beim Schneiden soll 
man nicht die Finger aus die Klinge legen, man soll nicht trinken 
und sprechen, bevor man die Speisen hinabgeschluckt hat, nicht 
schmatzen und rülpsen, sich nicht in das Tischtuch schnäuzen, nicht 
über den Tisch legen, nicht krumm sitzen und sich nicht auf die 
Ellbogen stützen. Andere Dinge als Speisen soll man während des 
Essens nicht mit der bloßen Hand anfassen, sondern dafür das 
bewand über die Hand decken. Vor dem Trinken foll man den 
Mund wischen, nicht in den Trunk blasen, während dem Trunk 
nicht über den Becher sehen. Man soll nur zwischen den Trachten 
trinken, man soll nicht essen, während der Geselle trinkt, man soll 
beim Essen gegen seinen „Gemäßen" billig sein und ihm nicht 
seinen Auteil wegessen, endlich die Zähne nicht mit dem Meffer 
stochern. 
War das Kind im Edeldienst herangewachsen, so wurde es 
Knecht eines ritterlichen Herrn; nicht immer an demselben Hofe,
	        
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