Der junge Laufkäfer hatte eiu herrliches Leben. Frühmorgens,
wenn der Tau noch in den Gräsern hing, huschte er schon quer durch
den grünen Rasen hinüber zu dem alten Weidenbaum, um seinen
Freund, den Bockkäfer, abzuholen. Dann liefen sie zusammen über die
weißen Kieswege und freuten sich an der Sonne, und wie des Lauf- 5
käfers Kleid in ihr glänzte, ebenso schön wie die Tautropfen im Grase.
Am liebsten sahen sie au dem kleinen Wassertümpel den Wasserkäfern
zu, wie sie pfeilschnell auf der Fläche hin und her schossen.
Da kam einmal ein Knabe durch den Garten gelaufen, und als er
den schillernden Laufkäfer sah, trat er auf ihn, sodaß er zerquetscht 10
liegen blieb. Er war tot. Als es Abend wurde, warteten die Käser-
eltern auf ihn — aber er kam nicht nach Hause. Es wurde immer
dunkler. Die'alte Unke, die als Nachtwächter angestellt war, rief schon
vom Teiche herüber — aber das Kind kam nicht. Da machten sie sich
voll Unruhe aus und liefen zu ihrer Nachbarin, der Heuschrecke, hinüber. 15
Sie glaubten, ihr Kind habe sich beim Spielen mit den kleinen Grillen
verspätet. Aber niemand wußte etwas. Die Rosenkäser schliefen schon
fest in ihren weißen Rosenbetten, und auch bei dem Bockkäfer im
Weidenbaum war alles still und dunkel. In ihrer Angst liefen sie weit
hinüber ans andere Ende des Gartens, wo der Leuchtkäfer in seinem 20
Blätterhaus wohnte. Der hatte sein Licht gerade ausgelöscht, um auch
zu Bett zu gehen; aber die armen Eltern taten ihm von Herzen leid.
So steckte er sein Lateruchen wieder an und leuchtete ihnen durch den
Garten. Da sahen sie zwei Totengräber des Weges kommen, die
erzählten, daß unten am Wassertümpel wieder einmal eiu zertretener 25
Laufkäfer liege, den müßten sie heute nacht noch begraben. So fanden
die Eltern endlich ihr armes Kind. Der Leuchtkäfer löschte sein Licht
aus, um den Schmerz der beiden Eltern nicht zu sehen; denn er hatte
ein gar weiches Herz.
Hätte der Knabe das alles gewußt, wie leid würde ihm das getan 30
haben! Heyck-Jenseu, Was ich meinem Hans erzählte. Stuttgart, Levy u. Müller, o. I., S. 137.
115. Der erste Maikäser.
Bon Wilhelm Raabc.
^I^er große Kastanienbaum in dem kleinen Garten vor dem Burgtor
ist mit seinen Blüten geschmückt wie ein Christbaum mit seinen
Weihnachtskerzen. Alles Leben, das den harten Winter hindurch in 35
den braunen Knospenhülsen der Bäume und Gesträuche geschlummert
hat, lugt keck und lustig hervor.
Käser, Mücken und Schmetterlinge huschen durch die Lust und über
den Boden dahin. Die Frösche hüpfen aus ihren Schlupfwinkeln,
sonnen sich auf den Wegen und plumpsen bei jedem sich nahenden 40
Schritte zurück in ihre Verstecke.