36 Königin Luise.
Freie, einige schattige Bäume, ein paar Blumenbeete, eine Laube reichen hin.
Mein Mann und ich, wir sind uns mit den Kindern selbst genug; und dann habe
ich gute Bücher, ein gutes Gewissen, ein gutes Klavier, und so kann man unter
den Stürmen der Welt ruhiger leben, als die, welche die Stürme erregen."
Zwei Sommer verlebte die königliche Familie in diesem Landhause/ und
zuweilen war es, als wären die lieblichen, sorglosen Zeiten von Paretz wieder¬
gekehrt. Die Dorfbewohner umgaben das hohe Paar mit zärtlicher Liebe und
Anhänglichkeit, und wenn die Herrschaften durch das Dors gingen und hier
mit einem Alteu, da mit einem Kinde freundlich sprachen, dann traten die
Hausmütter unter die^ Thür und schauten ihnen grüßend und segnend nach.
Ganze Bürden von Feldblumen trugen die Dorfkinder ins Herrenhaus, be¬
sonders waren viel Kornblumen darunter. Einmal hatte die Königin, in tiefe,
ernste Gedanken verloren, einen Kranz daraus geflochten; als sie ausblickte,'
stand ihre Tochter Charlotte vor ihr, die dem Spiel ihrer Finger mit auf¬
merksamem Staunen zusah. Lächelnd drückte die Mutter die eben vollendete,
blaue Krone auf das Haupt des holden Kindes, das feine Arme um ihren
Hals schlang und sie zärtlich küßte. Das liebreizende Bild prägte sich dem
Herzen des Prinzen Wilhelm unvergeßlich ein, und bis in sein Alter, als
längst die Tage des Unglückes den höchsten Ehren eines mächtigen Herrschers
gewichen waren, blieb die einfache, ländliche Kornblume die Lieblingsblume
des kaiserlichen Herrn. Am Geburtstage des Königs, am 3. August, wurde
bas ganze Dorf unb bas Laubhaus mit Blumenkränzen unb Lanbgewinben
festlich geschmückt; in Sonntagskleibern erschienen bie Einwohner unb brachten
Blumen unb Früchte bar. In Berlin unb ben anbern Provinzen, bie noch
unter betn Drucke ber französischen Besatzung schmachteten, bürste ber Geburts¬
tag des angestammten Landesherrn nicht gefeiert werden: erst sechs Jahre
später wurde der dritte August wieder zu einem Festtage des ganzen be¬
freiten Volkes.
In dieses stille, zurückgezogene Leben warfen die Weltereignisse manchen
trüben Schatten. Napoleon ließ das unglückliche Preußen seinen Übermut
gründlich fühlen; erst fünfzehn Monate nach dem Friedensschluß ließ er sich
bewegen, feine Truppen zurückzuziehen und das Land, bis auf drei Festungen,
zu räumen. Dadurch wurde es dem König erst möglich, an eine Rückkehr
nach Berlin zu denken, denn auch die Hauptstadt hatte bis jetzt eine franzö¬
sische Besatzung gehabt. Ehe aber das Königspaar den Osten verließ, wollte
es der dringenden und wiederholten Einladung des russischen Kaisers folgen,
ihn in Petersburg zu besuchen. Ant 27. Dezember wurde die Reise ange¬
treten; der Zar hatte dafür gesorgt, ihre Schwierigkeiten soviel als möglich
zu erleichtern, überall standen Pferde in reicher Zahl bereit, überall wurden
die Reisenden mit höchster Aufmerksamkeit uud Ehrerbietung behandelt. Erst
am 6. Januar erreichten sie die Hauptstadt, wo ihnen ein glänzender Empfang
bereitet wurde. Die ganze Zeit des dreiwöchentlichen Aufenthaltes war eine
Reihe von Festen, bet denen der russische Hof feine ganze berauschende Pracht
entfaltete. Die beiden Kaiserinnen, die Gattin und die Mutter des Zaren,
überhäuften die Königin Luise mit Liebe und Freundlichkeit, aber diese empfand
mitten in biesem Glanz bie Schwere ihres Schicksals mit boppelter Gewalt uttb