Full text: Das Altertum, das Mittelalter bis zu Karl dem Großen (Teil 1)

Quellensätze. 
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es zu deiner Entschuldigung nicht, wenn du darüber ein Gutachten abgeben solltest. — 
G.: Du spottest. — S.: Aber das weis; ich, du hast nicht versäumt, darüber nachzn- 
denken, wie lange der Staat mit dem Getreide, das wir selbst im Lande gewinnen, 
auskommen kann, und wieviel hinzugekauft werden muß, damit du der Stadt bei ihren 
Bedürfnissen mit gutem Rate zu Hilfe kommen und bei Mangel sie retten kannst. — 
G.: Ei, das wäre ja nach deinen Reden eine wahre Riesenarbeit, wenn man sich um 
all dergleichen kümmern sollte. — S.: Und doch kann einer nicht einmal seine eigene Haus- 
Haltung ordentlich besorgen, wenn er dies alles nicht weiß. Da nun die Stadt mehr als zehn- 
tausend Häuser hat, es aber sehr schwer ist, für so viele Haushaltungen zu sorgen, 
warum hast du nicht versucht, zuerst einem einzelnen Hause, dem deines Oheims, auf- 
zuhelfen? Er hat's recht nötig. Wenn einer ein Talent^) nicht tragen kann, muß 
man ihm noch sagen, daß er es mit mehreren auch nicht versuchen solle? — G.: Ich 
wollte meinem Oheim gern helfen, wenn er mir nur folgen wollte. — S-: Wie? Du kannst 
deinen Oheim nicht dazu bewegen und meinst, du könntest die ganze Stadt samt deinem 
Oheim dahin bringen, dir zu gehorchen? Denke an alle die anderen, die denselben 
Fehler machen und sprechen und tun, was sie nicht verstehen. Was gewinnen sie damit, 
Bewunderung oder Verachtung? Ist es dir daher um Anerkennung im politischen 
Fache zu tun, so laß es dir vor allem angelegen sein, dir darin die nötige Einsicht zu 
verschaffen. 
6) Aus Platons Bericht über Sokrates im Gefängnis. Als nach der 
Unterredung einer seiner Jünger, Kriton, ihn fragte: „Wie sollen wir dich denn begraben?" 
antwortete er: „Ganz wie ihr wollt, wofern ihr mich wirklich habt und ich euch nicht 
entwische." Dabei sah er uns lächelnd an und sagte: „Ich überzeuge den Kriton nicht, 
daß der Leichnam, den er bald sehen wird, nicht derselbe Sokrates ist, der jetzt mit euch 
spricht. Worüber ich so lange gesprochen habe, daß ich nach dem Trinken des Giftes 
nicht mehr bei euch bleiben, sondern übergehen werde in den glücklichen Zustand der 
Seligen, das habe ich ihm wohl vergebens gesagt, während ich euch und mich selbst 
damit getröstet habe. Verbürgt euch daher beim Kriton für das Gegenteil von dem, 
was er den Richtern verbürgte: er leistete nämlich dafür Bürgschaft, daß ich nicht 
davonlaufen würde." 
7) Aus einer Rede des Demosthenes („Vom Kranze"), in der er genötigt 
war, über seine Tätigkeit für den Staat zu sprechen: 
Es war Abend. Da kam ein Bote an die Prytanen mit der Nachricht von der 
Besetzung Elateas. Sofort stunden sie von der Mahlzeit auf, trieben die Leute aus 
den Buden auf dem Markte und steckten das Holzwerk in Brand; zugleich schickten sie 
nach den Strategen und ließen Lärm schlagen; die ganze Stadt kam in Bewegung. 
Am nächsten Morgen mit Tagesanbruch beriefen die Prytanen den Rat ins Stadthaus, 
ihr aber strömtet in die Versammlung, und ehe noch der Rat die Sache verhandelt 
und seinen Beschluß gefaßt hatte, saß schon das ganze Volk beisammen. Als aber 
jener erschienen war, die Prytanen Bericht erstaltet, den Boten eingeführt und dieser 
gesprochen hatte, da fragte der Herold: „Wer begehrt das Wort?" Alle schwiegen, 
und so oft auch der Herold feilte Frage wiederholte, trat doch niemand auf, obgleich 
alle Redner und Strategen zugegen waren und die Stimme des Vaterlandes laut nach 
einem Verteidiger rief .... 
Ich sprach folgendermaßen: „Ich halte dafür, daß die die wirkliche Lage der Dinge 
verkennen, die sich einbilden, die Thebaner feien mit Philippos einig. Denn wäre 
dem wirklich fo, sicherlich würden wir dann nicht hören, daß er in Elatea, sondern an 
unseren Grenzen sei. Daß er freilich gekommen ist, um Theben für sich zu gewinnen, 
ist meine feste Überzeugung. Was von den Thebanern er hat mit Gold berücken 
können, das hat er alles bereits in seinem Garne; die sich ihm aber widersetzen, sucht 
*) Ein Talent als Gewicht = 26,2 kg. 
Christensen-Rackivitz, Geschichte. I. 11
	        
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