Vom 14. zum 18. Jahrhundert 161
selber in übermäßiger Entdeckerfreude übermenschliche Kräfte zutrauen mochte,
wohl auch gern die abergläubische Menge der Ungebildeten und Schein-
gebildeten neckte, wurden von einem Paracelsus, dem großen Erneuerer
der Medizin, von Agrippa von Nettesheim u. a. böse Gaukeleien berichtet.
Die fahrenden Schüler und das gelehrte Proletariat, das sich schon im Mittel¬
alter mit dem Pöbel der Landstraße angefreundet hatte, benutzten vollends die Dumm¬
heit der Bauern und Bürger, um ein wenig im trüben zu fischen. Und der viel¬
leicht ekstatisch veranlagte Schwindler, der sich Dr. Faust nannte, durfte gar welt¬
lichen und geistlichen Fürsten das Horoskop stellen, während die gelehrten Humanisten
ihn abschüttelten. Schlimmer war der Hexenwahn, der sich auf heidnischen,
spät erst von der Kirche geheiligten Aberglauben stützte und sich bald wie eine an¬
steckende Krankheit verbreitete, allenthalben seine Opfer fordernd.
Allmählich mußte sich doch die Kirche zu einem annehmbaren Verhält¬
nis mit der Wissenschaft bequemeu. Der christliche Gedanke war ja seiner¬
zeit zum mächtigsten Kulturträger geworden, indem die römische Kirche das
ganze Gefüge des römischen Staates und seiner Gesittung mit ihrem Geiste
durchtränkte. Eine gewisse Spannung zwischen den geistlichen Leitgedanken
und dem weltlichen Stoffe konnte freilich nicht ausbleiben. Sie führte zur
Verweltlichung des Lebens und selbst der Kirche bei den romanischen Völ¬
kern, insbesondere aber bei den Italienern im Zeitalter der „Renaissance".
Die Entdeckung neuer Länder und die Erfindung neuer Hilfsmittel zur Er¬
forschung der irdischen Natur und des Himmelsraumes; der Zufluß ungeheurer
Reichtümer und die Entfaltung fürstlicher Macht bei den Gewalthabern in den
großen Städten; die zunächst als Schmuck des Daseins, dann aber auch um ihrer
selbst willen gesteigerte Pflege von Kunst und Wissenschaft; kurz, die Entfaltung des
„modernen Menschen" im Vollbewußtsein seiner Kräfte, das freilich auch wohl in
düstre Verzweiflung umschlug - das alles führte zunächst von der Religion hinweg;
in Anlehnung an die Weisheit der Alten suchte der neue Mensch sein Leben nach
.den Weisungen und Gesetzen der Natur zu ordnen, deren Geheimnisse er mit
seiner Vernunft zu ergründen hoffte. Auch in das Innenleben des Menschen in
das Getriebe seiner Neigungen und Leidenschaften wollte man mit der Sonde der
Forschung eindringen, um die Seele entweder zu bessern oder den Machtgelüsten des
Herrschenden dienstbar zu machen (Macchiavelliy. Doch wurzelt dieser stolze Einzel¬
geist („Individualismus") nicht bloß im klassischen Altertum, sondern mindestens eben¬
sogut in jener Verselbständigung der Geister, die schon die Bettelorden vertreten
hatten und die sich nun auf weltlichem Boden fortsetzte.
In den germanischen Ländern schlug die geistliche Flamme empor und
drohte zeitweilig die weltliche Kultur und ihre Ordnung zu vernichten, bis
Me deutsche Reformation gegenüber den Ansprüchen der römischen Hierarchie
und den revolutionären Bestrebungen der Täufer u. a. neuerdings den An¬
schluß an den Staat und die soziale Ordnung zu finden wußte. Sie berief
sich, gleich allen Reformbewegungen des Mittelalters, auf das Urchristen¬
tum der Evangelien und erreichte'tatsächlich eine Stärkung des Gemeinde-
Deutschkunde . .