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Volkskunde 
leben herans zu fördern, das ist jedenfalls eine dankbare Aufgabe der 
Volkserziehung, die über die bloße Erhaltung und Pflege alter Branche 
hinausgeht. 
5. Sitte. Von unseren Vorfahren sagt Tacitns: „Gute Sitten haben bei 
ihnen mehr Kraft, als anderswo gute Gesetze." Diese Festigkeit des deutschen 
Menschen in seiner Volkssitte leitet die „Germania" daraus ab, daß es sich 
um ein reines und untermischtes, aus uraltem Boden stehendes Volk han¬ 
delt. Wlr sindey diese Gebundenheit überall in der Stammeszeit, in der 
der einzelne lediglich als Glied der Sippe und Volksgemeinschaft etwas 
gilt, nichts als besondere Persönlichkeit. 
Einzelne Züge der altdeutschen Sitte hebt Tacitus rühmend hervor. 
Hohes Lob spendet er der Ehesitte, die uns im Grunde bis heute erhalten 
blieb: später Verkehr der Geschlechter und Hochhaltung der Frau, strenge 
Einehe fast allein unter allen „Barbaren" und harte Bestrafung der Ehe¬ 
brecherin. Den Frauen schrieb man etwas Heiliges und Seherisches zu. 
Anderseits freilich herrschte strenges Vater- und Mannesrecht und die Hans- 
und Feldarbeit war den Frauen und Sklaven aufgebürdet. 
Lieblingsbeschäftigung des Mannes waren Krieg und Jagd und die 
Teilnahme an der Volksgemeinde, wenn auch Viehzucht und Ackerbau keines¬ 
wegs so weit zurückstanden, wie die Berichte der Römer melden. Von Ju¬ 
gend an wurden die Kinder abgehärtet und frühzeitig im Waffengebrauch 
geübt. Das war nicht nur eine Folge der unruhigen Helden- und Wander- 
zeit, sondern auch der offenen Lage des deutschen Landes inmitten einer 
großen Zahl angriffslustiger Nachbarn, und insofern blieb diese Richtung 
bis zur heutigen Jugenderziehung bestimmend. 
Die Wirkung des nördlichen Landes erkennen wir auch in der einfachen, 
kräftigen Kost, in dem Fehlen des Luxus, in der Verachtung erschlaffenden 
Wohllebens. In dieser Sitte besaß Germanien den Quell der fruchtbaren 
Volksvermehrung, die es auch nach schweren Erschütterungen immer wieder 
stark dastehen ließ. Je zahlreicher die Bevölkerung nachwuchs, desto mehr 
trat auch für den Mann die geregelte Arbeit in den Vordergrund, bis wir 
allgemach geradezu zu einem Volk der Arbeit geworden sind. Schon der Land- 
ban verlangt in den deutschen Landen einen vollen Mann, der scharf be¬ 
obachtet, der unermüdlich sorgt und schafft und ein sehr mannigfaltiges Ar¬ 
beitswesen zu übersehen versteht. Dieser von der deutschen Bauernarbeik 
her geformte Mannescharakter mit seinen Zügen umsichtiger Bedächtigkeit 
und rüstiger Schaffensfreude ist bis in die Ausprägungen der alten Götter¬ 
gestalten hinein zu erkennen und bis zu den wissenschaftlichen, technischen 
und wirtschaftlichen Leistungen Neudeutschlands.
	        
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