Full text: Das neue Reich ([Teil 2])

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raucht noch, und sogar hier in unserem ungemütlichen Keller riecht es brenzlich. 
Wer mag sich heut Nacht noch schlafen legen? Aber man muß schließlich, wir 
sind ja noch ganz zerschlagen, weil wir vorige Nacht so durch das Feuer ge¬ 
stört sind. Ob wir wohl gesund wieder aufwachen? Mitten in der Nacht fährst 
du mit einem Schrei auf. Ach nein, es war nichts, du hattest bloß geträumt, 
und draußen war ein Kanonenschuß gefallen, aber er hatte uns nicht getroffen. 
And das geht nicht bloß drei Tage, das geht drei Wochen und drei Monate, 
und nach drei Monaten weiß man noch nicht, wie lange es vielleicht dauern 
wird. And das Efsen wird so knapp, denn außer uns Bürgern liegen noch die 
paar Tausend Soldaten in der Stadt, und die Feinde lassen nichts herein. 
Ein Brot kostet 4 Mark, und ein Liter Milch 1,20 Mark. Rindfleisch und 
Schweinefleisch sind längst aufgegessen. Aber ein Pfund Kahenfleisch kann 
man für zwei Mark und ein Pfund Lundefleisch für 2,50 Mark kaufen. Pfui, 
wie eklig, es wird uns übel, wenn wir nur daran denken. Aber wenn man so 
entsetzlichen Lunger hat, man muß doch leben. — So ist es schon manchmal 
in belagerten Festungen zugegangen. Ob wir das erst abwarten wollen? Ob 
es nicht viel bequemer ist, wir machen nach den ersten paar Kanonenschüssen 
die Tore auf, und unsere Soldaten gehen Mann für Mann heraus, die 
Gewehrmündung nach unten gekehrt, und legen die Waffen ab und geben sich 
gefangen, und die Feinde kommen zu uns in die Stadt, und nun regieren die 
Franzosen statt der Preußen? Da brauchen wir uns nicht Nacht für Nacht 
abzuängstigen und brauchen uns nicht im engen Keller zusammen zu drücken 
und können jeden Morgen unsere Semmel zum Kaffee kriegen. 
Ja, so denkt man, wenn man weichlich und bequem geworden ist und keine 
Ehre im Leibe hat, sodaß es einem einerlei ist, ob fremde Leute hereinkommen 
und setzen sich breitspurig aufs Sofa und legen sich mit den Stiefeln ins Bett 
und machen dich und deinen Vater zu ihren Knechten und deine Mutter zu 
ihrem Dienstmädchen und bezahlen euch nicht, sondern nehmen auch das Geld 
noch dazu weg, das ihr im Schrank habt. Das sind feige Sklavenseelen, denen 
das einerlei ist. 
Aber so weichlich und bequem waren die Preußen in der langen Friedens¬ 
zeit geworden, und darum sagte die Königin Luise: „Weil wir von Gott ab¬ 
gefallen sind, darum sind wir so tief gesunken." Sie fragten nicht nach Gott 
und nach dem ewigen Leben, sondern sie wollten es nur behaglich und gut haben 
auf dieser Welt, und darum waren sie geworden wie ein Baum, der inwendig 
verfault ist. Kommt ein Sturmwind, so bricht er zusammen.
	        
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