Full text: Präparationen für den Unterricht in Staats- und Bürgerkunde (Bd. 3)

o Erziehung-lehre und Staatslehre im allgemeinen. 
seine besondere Erziehungslehre. Keine Erziehungslehre ist allgemein gültig, 
die den Anspruch erhebt, inhaltlich allein gültig zu sein *). Diesen An¬ 
spruch aber erhebt jedwede Philosophie und philosophische Erziehungswissen¬ 
schaft. 
Die Erziehungslehre, welche sich auf den Staatsgedanken stiitzt, muß 
deshalb auf die philosophische Grundlegung verzichten; denn diese vereint 
nicht, sondern spaltet; sie bildet Parteien, nicht das große Ganze eines 
Staates. Aus diesem Grunde darf aber auch die Staatserziehungslehre sich 
nicht in einen schroffen Gegensatz zu den Systemen der philosophischen Päda¬ 
gogik setzen; so wie der Staat duldsam ist gegen alle Glaubenslehren, so muß 
auch die Staatserziehungslehre duldsam sein gegen alle philosophischen Sy¬ 
steme, welche den Staatsgedanken nicht an sich bekämpfen. Daraus folgt, 
daß die Staatserziehungslehre nicht die auf bekenntnismäßigem Grunde auf¬ 
erbauten Kirchenerziehungslehren bekämpfen darf; denn wie der Staat die 
Kirchen duldet, sobald sie ihn dulden, so muß auch die Staatserziehungslehre 
sämtliche Kirchenerziehungslehren dulden, die den Staatsgedanken als ein Er¬ 
ziehungsziel gelten lassen. 
Darum ist es nicht im Sinne der Staatslehre und der Staatskunst, wenn 
man den Kirchenlehren die Schule verschließt, bloß deshalb, weil es noch keine 
oder nicht mehr eine „deutsche Religion", einen einheitlichen deutschen Glauben 
gibt. Solange das alte Deutsche Reich die eine römisch-katholische Glaubens¬ 
lehre als die „deutsche Reichsreligion" ansah, gehörte sie zu einer Forderung 
der Staatserziehung; denn es konnte keinen deutschen Reichsbürger geben, 
der nicht zugleich römischer Katholik war. Römisch-katholisch zu sein, war die 
allererste Grundforderung an den deutschen Reichsbürger. Jede Erziehung 
war reichs- und staatswidrig, die nicht katholisch war. 
Der neuzeitliche Verfassungsstaat ist hinsichtlich des Glaubens duldsam 
und unseitig, parteilos, neutral. Das schließt zugleich wichtige Gebote für 
die Erziehung ein. Keine Erziehungslehre entspricht dem verfassungsmäßig 
gewährleisteten Grundgesetze der Glaubensfreiheit, wenn sie den Anspruch er¬ 
hebt, daß ihre zugrunde gelegte philosophische, religionsphilosophische Welt- 
und Lebensanschauung die allein richtige sei. Gründeten wir die Staats¬ 
erziehungslehre auf das sogenannte allgemeine Christentum, auf den gemein¬ 
samen reinen Eingottglauben, um so die besondern Kirchenlehren ausschließen 
zu können, so würden wir nicht das Gemeinsame fördern und die Einigkeit 
unter den Bürgern des Staates gewährleisten, sondern nur den Argwohn 
und die Zwietracht der Streng- und Enggläubigen wecken und den Streit 
entzünden. 
So ergibt sich die Notwendigkeit, die Staatserziehungslehre als ein 
pädagogisches Prinzip anzusehen, das jede Erziehungslehre anerkennen und 
zur Geltung bringen muß, welche Einfluß auf die öffentliche Erziehung in 
der Schule und durch die Schule ausüben will. Sie besteht aus einem Ge¬ 
füge von Grund- und Lehrsätzen, die in der katholischen wie in der evange¬ 
lischen Schule und Erziehung in gleichem Maße wirken müssen; sie sind das 
Gemeinsame, das alle pädagogischen Systeme, die auf dem Gebiete unsers 
Reichs nach öffentlicher Geltung ringen, durchdringt und durchdringen muß. 
Das Leben der Menschen vollzieht sich stets i m Staate und zum Teil 
für den Staat. Jeder Mensch ist eine Persönlichkeit, die ihren Eigenwert 
x) Siehe meinen „Kampf um den Religionsunterricht" S. 30. '
	        
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