Full text: Zur deutschen Geschichte (Teil 1)

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zu geben, und obwohl er hoch und teuer versichert, nicht geschlafen 
zu haben, sieht ihm doch jedes an, daß er im Schlaf den Knaben an 
seiner Seite verloren hat. Die Mutter will selbst hinaus in die Nacht, 
um das Kind zu suchen. Der Vater weist sie hinein in die Stube. 
Er zündet eine Laterne an und sagt: „Ich find ihn allein. Der 
Leo ist auch nicht heimgekommen, so ist er beim Hans; es kann nicht 
schlimm sein.“ Er wandert hinaus, W. zu. Aber schon auf halbem 
Wege kommt ihm ein Bote entgegen, der ihm erzählt, wie und wo 
Hans gefunden worden und daß er, nächst Gott, es dem treuen Leo 
verdanke, daß er gerettet und noch am Leben sei; im warmen Bett 
bei der Nachbarsfrau habe er die Augen aufgeschlagen und die Rede 
wiedergefunden. Da eilt der Vater mit dem Manne, sein Kind zu 
umarmen und sich zu versichern, daß es ihm neu geschenkt sei. Seine 
Angst verwandelt sich in Dank. 
Was sitzt der Leo so vergnüglich auf der sonnenbeschienenen 
Steinplatte vor dem Hause? Was blinzelt er mit den Augen in 
die Sonne und leckt sich die Schnauze? Neben ihm steht eine rote 
irdene Schüssel, aber sie ist leer. O, es war etwas darin; eine ganze 
rote, köstliche Wurst war drin! Hat die aber geschmeckt! Heute 
morgen ist er mit dem Hans in die Mühle eingezogen, und da kam 
die Wurst. Und Leo weiß wohl, warum; drum blinzelt er auch so 
vergnügt und leckt und leckt. Dora Schlatter. 
125. Eine Ehrenrettung. 
Wie viel Böses sagt man unserer braven Hauskatze nach! „Falsch 
wie eine Katze“ ist so ein verleumderischer Ausdruck, den man täglich 
hören kann. Und doch ist ebensowenig jeder Hund treu wie jede Katze 
falsch; denn auch bei Hunden heißt es zuweilen: Trau, schau, wem? 
Wenn man aber meint, die Katze gewöhne sich nur an das Haus 
und nicht an ihren Herrn, so tut man ihr entschieden unrecht. Wo sie 
gut behandelt wird, gewöhnt sie sich ebenso schnell an die neue Um— 
gebung wie der Hund. Kehrt sie aber gern auch wieder an den Ort zurück, 
wo sie geboren und erzogen wurde, wo sie sich lange Zeit wohl fühlte, 
so sollte man ihr diese Anhänglichkeit nicht als Untreue anrechnen. 
Die Anhänglichkeit der Katze an Personen, die es verstehen, mit 
ihr umzugehen, zeigt so viele Züge rührender Treue, daß sie vom 
Hunde kaum in den Schatten gestellt wird. Ich habe in mehreren 
Fällen wahrgenommen, daß Katzen nach dem Tod ihrer Herren und 
Freunde sich zweifellos zu Tode grämten. Ich erinnere mich eines
	        
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