Full text: Von der Französischen Revolution bis zur Gegenwart (Teil 2)

20 Frankreich im Kriege mit Europa bis 1812. 
König ins Zimmer, und die Unterhaltung ward unterbrochen. Als 
Napoleon darauf Alexander wiedersah, sagte er zu diesem: 
„Der König von Preußen ist zur rechten Zeit dazugekommen, 
denn eine Viertelstunde später hätte ich der Königin alles versprochen." 
Dieses Wort gab der Königin mehr Hoffnung und Mut. — Na¬ 
poleon war gegen sie außerordentlich aufmerksam, sagte ihr viel Schmei¬ 
cheleien, und nach dem Diner begann die Unterhaltung von neuem 
über die geschäftlichen Angelegenheiten. — Endlich sagte Napoleon: 
„Madame, was wünschen Sie? Sagen Sie mir deutlich Ihre Ansichten." 
Darauf erklärte ihm die Königin eingehend die Wünsche des Königs, 
sagte ihm, auf welche Provinzen er nicht verzichten wolle, die Gründe, 
aus welchen ihm diese oder jene Provinz für den Handel oder für die 
Versorgung Berlins von größerem Werte sei. 
Napoleon gab ihr keine positive Zusicherung, bewies ihr sehr viel 
Rücksicht und Aufmerksamkeit, versicherte sie seiner Zuneigung, und als 
die Königin immer wieder auf die Geschäfte zu sprechen kam, sagte er: 
„Madame, man hat mir immer gesagt, Sie mengten sich in die 
Politik, und jetzt bedauere ich nach allem, was ich gehört habe, daß 
es nicht der Fall ist." — Man täuschte sich, wie ich glaube, über den 
Sinn dieses Kompliments, das man wörtlich nahm. Und da Napoleon 
nach dem Weggang der Königin zu Alexander gesagt hat: „Die Königin 
von Preußen ist eine reizende Frau; ihre Seele entspricht ihrem Gesicht, 
und wahrhaftig, anstatt ihr eine Krone zu nehmen, möchte man ver¬ 
sucht sein, ihr eine andere zu Füßen zu legen!" so gingen diese Worte 
von Mund zu Mund und veranlaßten zu den schönsten Hoffnungen... 
Der Fürst von Neuchätel wurde am zweiten Tag zur Königin 
geschickt, um sie zum Diner abzuholen; dieselben Förmlichkeiten, dieselben 
Aufmerksamkeiten wie am Tage vorher, aber der Schmerz der Königin, 
die Niedergeschlagenheit des Königs, die Verlegenheit Alexanders, der 
Zorn Napoleons, das alles war sehr sichtbar. Vor dem Essen sprach 
man wenig miteinander und nur unbedeutende Dinge. Desgleichen 
während des Diners. Als die Königin im Begriff war zu gehen, sagte 
sie zu Napoleon: 
„Sire, nach den Gesprächen, die wir gestern zusammen gepflogen, 
nach allem, was Eure Majestät mir Liebenswürdiges und Verbindliches 
gesagt haben, verließ ich Sie getröstet und glaubte Ihnen unser Glück, 
das Glück meines Landes und meiner Kinder zu verdanken. Heute 
sind alle meine Hoffnungen vernichtet, und ich scheide von Ihnen mit 
ganz anderen Gefühlen." 
Napoleon hatte nicht Zeit, ihr zu antworten, da die Fürsten sich 
ihr näherten, um von ihr Abschied zu nehmen. Als Napoleon der 
Königin den Arm bot, um sie zu ihrem Wagen zu führen, sagte er: 
„Madame, Sie haben es sich vorbehalten, mich bis zuletzt zu 
.schinden'!"
	        
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