22 Frankreich im Kriege mit Europa bis 1812.
fleckt er feine Regierung mit vielen Ungerechtigkeiten. Er meint es nicht
redlich mit der guten Sache und mit den Menschen. Er und fein un-
gemessener Ehrgeiz meint nur sich selbst und sein persönliches Interesse.
Man muß ihn mehr bewundern, als man ihn lieben kann. Er ist von
seinem Glück geblendet, und er meint, alles zu vermögen. Dabei ist
er ohne alle Mäßigung, und wer nicht Maß halten kann, verliert das
Gleichgewicht und fällt.
Ich glaube fest an Gott, also auch an eine sittliche Weltordnung.
Diese sehe ich in der Herrschaft der Gewalt nicht; deshalb bin ich der
Hoffnung, daß auf die jetzige böse Zeit eine bessere folgen wird. Diese
hoffen, wünschen und erwarten alle besseren Menschen, und durch bie
Lobredner der jetzigen und ihres großen Helden darf man sich nicht
irre machen lassen. Ganz unverkennbar ist alles, was geschehen ist und
geschieht, nicht das Letzte und Gute, wie es werden und bleiben soll,
sondern nur die Bahnung des Weges zu einem besseren Ziele hin. Dieses
Ziel scheint aber in weiter Entfernung zu liegen, wir werden es wahr¬
scheinlich nicht erreicht sehen und darüber hinsterben. Wie Gott will
— alles, wie er will. Aber ich finde Trost, Kraft und Mut und Heiter¬
keit in dieser Hoffnung, die tief in meiner Seele liegt. Ist doch alles
in der Welt nur Übergang. Wir müssen durch. Sorgen wir nur dafür,
daß wir mit jedem Tage reifer und besser werden.
Hier, lieber Vater, haben Sie mein politisches Glaubensbekenntnis,
so gut ich als eine Frau es formen und zusammensetzen kann. Mag
es seine Lücken haben, ich befinde mich wohl dabei; entschuldigen Sie
aber, daß ich Sie damit behellige. Sie sehen wenigstens daraus, daß
Sie auch im Unglück eine fromme, ergebene Tochter haben und daß
die Grundsätze christlicher Gottesfurcht, die ich Ihren Belehrungen und
Ihrem frommen Beispiele verdanke, ihre Früchte getragen haben und
tragen werden, solange Odem in mir ist.
Gern werden Sie, lieber Vater, hören, daß das Unglück, das uns
getroffen, in unser eheliches und häusliches Leben nicht eingedrungen
ist, vielmehr es befestigt und uns noch werter gemacht hat. Der König,
der beste Mensch, ist gütiger und liebevoller als je. Mehr in Hand¬
lungen, wie er ist, als in Worten, ersehe ich die Aufmerksamkeit, die
er in allen Stücken für mich hat, und noch gestern sagte er schlicht und
einfach, mit feinen treuen Augen mich ansehend, zu mir: „Du, liebe
Luise, bist mir im Unglück noch werter geworden und lieber. Nun
weiß ich aus Erfahrung, was ich an dir habe. Mag es draußen
stürmen — wenn es in unsrer Ehe nur gut Wetter ist und bleibt. Weil
ich dich so lieb habe, habe ich unser jüngst geborenes Töchterchen ,ßuise‘
genannt. Möge es eine Luise werden."
Bis zu Tränen rührte mich diese Güte. Es ist mein Stolz, meine
Freude und mein Glück, die Liebe und Zufriedenheit des besten Mannes
zu besitzen, und weil ich ihn von Herzen wieder liebe und wir so mit-