Ein Besuch im Benediktiner-Kloster
Von Viktor von Scheffels
1. Es war vor beinahe tausend Jahren. Die Welt wußte
weder von Schießpulver, noch von Buchdruckerkunst. Über dem
Hegau lag ein trüber, bleischwerer Himmel. Bom Bodensee her
wogten die Nebel übers Ries und verdeckten Land und Leute. Auch
der Turm vom jungen Gotteshaus Radolfs-Zelle war eingehüllt;
aber das Frühglöcklein war lustig durch Dunst und Dampf er¬
klungen, wie das Wort eines verständigen Mannes durch ver¬
finsternden Nebel der Toren. — Es ist ein schönes Stück deutscher
Erde, was dort zwischen Schwarzwald und schwäbischem Meer sich
auftut. Wer's mit einem falschen Gleichnis nicht allzugenau nimmt,
mag sich der Worte des Dichters erinnern:
Das Land der Alemannen mit seiner Berge Schnee,
Mit seinem blauen Auge, dem klaren Bodensee,
Mit seinen gelben Haaren, dem Ährenschmuck der Au'n,
Recht wie ein deutsches Antlitz ist solches Land zu schaun. —
Düster ragte die Kuppe des Hohen Twiel mit ihren Klingsteinzacken
in die Lüfte.
2. Zur Zeit, da unsre Geschichte anhebt, trug der Hohe Twiel
schon Turm und Mauern, eine feste Burg. Dort hatte Herr Burkhard
gehaust, der Herzog in Schwaben. Er war ein fester Degen ge¬
wesen und hatte manchen Kriegszug getan; die Feinde des Kaisers
waren auch die seinen, und dabei gab es immer Arbeit: wenn's in
Welschland ruhig war, fingen oben die Normänner an, und wenn
die geworfen waren, kam der Ungar geritten, oder es war
einmal ein Bischof übermütig oder ein Graf widerspenstig — so
war Herr Burkhard zeitlebens mehr im Sattel als im Lehnstuhl
gesessen. Demgemäß ist erklärlich, daß er sich keinen sanften Leu-
*) Der Dichter Viktor v. Scheffel, geb. 1826, gest. 1886, schildert
uns in seinem Roman „Ekkehard" ein Stück deutschen Lebens aus dem
10. Jahrhundert. Er führt uns auch in das Kloster St. Gallen und zeigt
uns das Leben und Treiben der Benediktinermönche. Eben dieses
typische Stück ist es, das hier mit gütiger Erlaubnis des Verlags von
Bonz & Comp, in Stuttgart, sowie der Erben des Dichters aus dem ge¬
nannten Roman geboten wird.
Tecklenburg. Geschichtsquellen 3. 1