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5. Der Wanderer und der Strom.
Der Wand'rer sprach: „Wie klar sind deine Wogen,
Und gestern kamst du noch so trüb gezogen!“
Da rauscht der Strom und läßt die Wellen blinken:
„Was mich getrübt, ließ ich zu Boden sinken,
Daß meine Fluth nach sturmbewegtem Tage
Das stille Bild des Himmels wieder trage.“
b. Das Lamm und der Dornbusch.
„Was zupfst du mir die Flocken aus,
Du machst dir doch kein Kleid daraus!“
So schalt das Lamm den Dorn.
Der sprach: „Die Flocken braucht für's Nest
Das Schwälblein, das dich grüßen läßt!“ —
Da legte sich der Zorn.
7. Die alte Dorflinde.
Die Linde war des Dorfes Zier,
Wer aber fragte viel nach ihr?
Es lobte sie nur dann und wann
Vorübergeh'nd ein Wandersmann.
Da riß ein Sturm den Baum entzwei;
Nun gab's im Dorf ein Wehgeschrei,
Und alles pries, man glaubt es kaum,
Aus vollem Hals den lodten Baum.
8. Auch eine Ansicht.
Vor einem blüh'nden Rosengarten stand
Ein Esel und rief ärgerlich hinein:
„O, wie verwüstet ihr das schöne Land!
Das müßt' ein Boden für die Disteln sein!“
b. Das Kind der Sorge.
1. Einst saß am murmelnden
Strome
Die Sorge nieder und sann
Da bildet' im Strom der Gedanken
Ihr Finger ein leimernes Bild.
2. „Was hast du, sinnende Göt—
tin?“
Spricht Zeus, der eben ihr naht.
„Ein Bild, vom Thone gebildet!
Beleb's! Ich bitte dich, Gott.“