Humanismus und Renaissance.
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Ihren Ausgang nahm die Bewegung von Italien, wo man die ehr¬
würdigen Überreste der antiken Welt, besonders der Bau- und Bildenden
Kunst, stets vor Augen hatte und der Sinn sür die klassische Literatur nie
ganz erstorben war. Zunächst wetteiferten die Stadtrepubliken und die
Fürstenhöfe, so vor allem der Medieeerhos in Florenz, der Hos der
E st e in Ferrara u. a., um den Ruhm, die neue Bildung und Kunst zu
hegen und zu fördern. Dann wurde durch eine Reihe hochgebildeter und
kunstsinniger Päpste Rom zum Hauptsitz der Renaissance erhoben und
ein Goldenes Zeitalter für die Wissenschaften und Künste begründet (stehe
Zweit. Hauptt. S. 182). Von Italien aus drang die Bewegung nach Norden
und gelangte nach Frankreich, England, den Niederlanden und auch nach
Deutschland.
a) Literatur und Kunst in Italien.
1. Dichtung und Wissenschaft. Schon Dante, der bedeutendste Dichter
des Mittelalters (s. Zweit. Hauptt. S. 144) lenkte die Aufmerksamkeit auf die
klassische Literatur. Dann war Petrarca aus Florenz deren begeisterterf 1374
Verehrer; wegen seiner eigenen lateinischen Gesänge wurde er aus dem Kapitol
zum Dichter (poeta laureatus) gekrönt. Petrarcas Freund Boccaccio las f 1375
Homer zuerst wieder in der Ursprache. Als Mittelpunkt der klassischen Studien
stiftete Cofimo Medici die Platonische Akademie in Florenz; außerdem ent¬
standen reichhaltige Bibliotheken (zu Rom, Florenz, Venedig, Mailand usw.),
in denen man die wertvollen Überreste der klassischen Literatur sammelte. —
Von Schriftstellern bzw. Dichtern des 16. Jahrhunderts sind Macchiavelli, Ariosto
und Tasso zu nennen: Macchiavelli, Staatssekretär und Geschichtschreiber f 1527
zu Florenz, vertrat in seinem Buch „Der Fürst" (II Principe) den Grundsatz,
ein Herrscher dürfe, unbekümmert um die Gesetze der Sittlichkeit, jedes Mittel
anwenden, wenn der Zweck nur dem Wohle der Gesamtheit und der Befestigung
der Staatsgewalt diene1). Der in Ferrara lebende Ariosto verfaßte das roman- f 153&
tische Epos „Der Rasende Roland" (Orlando furioso), worin er Heldentaten der
Ritter aus dem Kreise Karls d. Gr. im Kampfe gegen die Ungläubigen besang.
Torquato Tasso, der ebenfalls längere Zeit am Hofe der kunstliebenden Este f 1595
weilte, verherrlichte in dem epischen Gedicht „Das Befreite Jerusalem" (La Ge-
rusalemme liberata) die Taten Gottfrieds v. Bouillon und seiner Genossen auf
dem ersten Kreuzzug.
2. Tie Baukunst. Am herrlichsten entfaltete sich der neue Geist in den
bildenden Künsten, vor allem in der Baukunst. Im Gegensatze zur Gotik brachte
der Renaissancestil die geraden und gebrochenen Linien (Winkel) sowie den
Rundbogen wieder mehr zur Geltung und schuf in freier Nachahmung griechisch-
römischer Muster edle, harmonisch gegliederte Außenformen, verbunden mit einer
wunderbaren Feinheit in der Entfaltung weiter, lichtvoller Jnnenräume. Häufig
Wirt) der Zentralbau durch eine breite Kuppel gekrönt, die oben einen mit
Fenstern versehenen Aufbau (Laterne) trägt. Säulengetragene Bogenhallen
(Loggien) dienen stellenweise als Vorbau oder umgeben geräumige Jnnenhöse.
x) Deshalb nennt man eine Staatskunst, die sich an keine Sittlichkeitsgesetze bindet,
macchiavellistisch.