Full text: Geschichtliches Lesebuch

18 II. ü. Sybel, Erste Jahre des Bundestags. 
Man muß es gestehen, niemals ist einem großen, mit frischem 
Siegeslorbeer gekrönten Volke eine kümmerlichere Unverfassung auf¬ 
erlegt worden, als es damals dem deutschen durch die Bundesakte 
geschah. Die mächtigen Gedanken, welche Preußens Wiedergeburt und 
damit Deutschlands Befreiung vorbereitet hatten, waren hier in ihr 
Gegenteil verwandelt. Es war kein Wunder, daß in weiten Kreisen 
ein erbitterter Widerspruch erscholl. Die zurückgekehrten jüngeren 
Kämpfer erfüllten die Universitäten mit ihrer patriotischen Entrüstung 
und suchten durch die Gründung der allgemeinen Burschenschaft die 
gesamte gebildete Jugend Deutschlands mit ihrem Enthusiasmus für 
Einheit, Recht und Freiheit zu erfüllen 1). Die Bestrebungen, die in 
diesen Vereinen herrschten, waren bei der größten Mehrheit durchaus 
idealer Art. Sie sannen nicht auf Umsturz des Vorhandenen, sondern 
auf Erziehung des kommenden Geschlechts. Durch sittliche Hebung 
und patriotische Begeisterung hofften sie den Staat der Zukunft zu 
dem großen Ziele der nationalen Einheit hinzuführen. Allerdings 
hatten sie über die Formen dieses Staats sehr oft unklare und un¬ 
praktische Vorstellungen, und einzelne Gruppen unter ihnen steigerten 
die Begeisternng zu wildem Fanatismus und waren bereit, Schwert 
und Dolch zum Tyrannenmord zu ergreifen. Niemals aber gelang 
es ihnen, in dem großen Vereine für solche Entwürfe einen erheblichen 
Anhang zu gewinnen. Gleichzeitig erhielten Bayern und Baden ihre 
Verfassung, und in München, wie in Karlsruhe erhob die liberale 
Mehrheit der Abgeordneten den Ruf nach Erweiterung ihrer Rechte 
und entwickelte ein Programm, in welchem alle jene zu Wien abge¬ 
wiesenen preußischen Forderungen nebst inhaltreichen Zusätzen wieder¬ 
kehrten. Eine sehr lebhafte Bewegung der Presse in Süddeutschland, 
Thüringen und am Rhein unterstützte sie in Zeitungen, Zeitschriften 
und großem Werken: noch heute sind die Namen von Rotteck, Oken, 
E. Welcker, Görres unvergessen. Man hat damals und später die 
unwissenschaftliche Flachheit und den halb revolutionären Charakter 
dieser Publizistik gerügt, und in der That ist es nicht zu bestreiten, 
daß die damalige liberale Schule sich oft nicht weniger ungeschult 
und unpraktisch gezeigt hat, als die Teutonen der Burschenschaft. Eine 
Mischung halbwahrer oder irriger Vorstellungen von altdeutscher Frei¬ 
heit, englischem Parlamentsrecht, radikalen französischen Theorien ist 
in diesen Schriften nicht zu verkennen; auch sie verfielen dem Haupt- 
1) Vgl. Nr. III, Seite 33 ff.
	        
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