Full text: Geschichtliches Lesebuch

II. v. Sybel, Erste Jahre des Bundestags. 19 
fehler des damaligen europäischen Liberalismus, daß sie in ihrem Eifer 
um das individuelle Recht die Notwendigkeit einer starken Staatsmacht, 
gerade zum Schutze jenes Rechts gegen das Versinken in freiheits¬ 
mörderische Anarchie, verkannten, und deshalb auch, wo einmal die 
Probe gemacht wurde, sich ungeschickt zu gedeihlicher Lenkung der 
Regierung zeigten. Durch dies alles können aber ihre großen Ver¬ 
dienste in schwerer Zeit nicht verdunkelt werden. In ihren Staaten 
haben sie, um nur ein Moment anzuführen, mit saurer, unermüdlicher 
Arbeit den durch lange Willkür und Vergeudung zerrütteten Staats¬ 
haushalt wieder zu fester Ordnung und Regelmäßigkeit zurückgeführt. 
Und, was die Hauptsache ist, wie die Burschenschaften den einen 
Grundgedanken der Befreiungszeit, die deutsche Einheit, so haben die 
süddeutschen Kammern den andern, Teilnahme des Volkes an dem 
öffentlichen Wesen, trotz alles Druckes und aller Niederlagen im Be¬ 
wußtsein der Nation ein volles Menschenalter hindurch lebendig er¬ 
halten, und wir müssen ihnen ein ehrendes Andenken bewahren, wenn 
wir heute uns dieser hohen Güter in vollem Umfange erfreuen. 
Damals aber sollten diese Bestrebungen eine schwere Katastrophe 
erleiden. 
Fürst Metternich war über sie in jeder Beziehung entrüstet. Um 
die deutschen Lande nach Habsbnrgs altem Rechte zu beherrschen, ohne 
zugleich die Pflichten der Herrschaft zu übernehmen, bedurfte er ihrer 
Zersplitterung. Es giebt, sagte er, keinen verruchteren Gedanken als 
den, die deutschen Völker in Ein Deutschland zu vereinigen. Schon 
deshalb war er der Beschützer der fürstlichen Souveränität und Feind 
jeder Beschränkung derselben durch volkstümliche Regung. Aber alles 
liberale Wesen war ihm überhaupt im Grunde der Seele verhaßt, 
weil es, einmal in Deutschland zugelassen, von dort aus das Still¬ 
leben Österreichs hätte stören können. Nach den Eindrücken seiner 
Jugend, wo er den Jubel von 1789 in Frankreich geradeswegs zu 
der blutigen Diktatur von 1793 hatte führen sehen, flössen ihm die 
Vorstellungen von Liberalismus, Radikalismus, Kommunismus voll¬ 
ständig ineinander: wenn die Burschenschafter und die liberalen 
Kammerredner nicht schleunig beseitigt würden, hielt er Deutschland 
und Österreich der soaaleu Revolution unrettbar preisgegeben. 
Andere Mittel gegen solche Gefahren als umfassende polizeiliche Re¬ 
pression waren ihm unbekannt. Hier, meinte er, gelte es rasches 
Durchgreifen für alle deutschen Staaten. Freilich bemerkte er jetzt 
selbst, daß mit dem schönen Werke seiner Hände, mit dem Bundes-
	        
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