Full text: Geschichtliches Lesebuch

II. v. Sybel, Erste Jahre des Bundestags. 21 
in Karlsbad x), um nach Metternichs Anträgen den verruchten Ge¬ 
danken der deutschen Einheit für alle Zukunft aus den deutschen 
Köpfen auszurotten. Es wurde verabredet, das gesamte Unterrichts- 
Wesen in Deutschland unter polizeiliche Aufsicht zu stellen, jede Druck¬ 
schrift unter 20 Bogen der polizeilichen Censur zu unterwerfen, jede 
in der Erfüllung dieser Gebote lässige Regierung durch militärische 
Exekution zu ihrer Pflicht anzuhalten und zur Verfolgung der 
Demagogen in allen deutschen Staaten eine Bnndes-Untersuchnngs- 
kommission in Mainz niederzusetzen. Preußen, welches hiebei überall 
die härtesten Anträge stellte, wollte dieser Behörde sogar richterliche 
Funktion beilegen, Kaiser Franz aber schrieb mit fast cynischer Naivetät, 
man wisse ja noch gar nicht, ob sie etwas herausbringen werde. Er 
hatte ganz recht, es kam auch nichts Erhebliches heraus. Aber die 
Beschlüsse blieben dennoch bestehen. Endlich hätte Metternich gerne 
ähnliche Zügel wie den Universitäten auch den Kammern angelegt. 
Das aber fand Schwierigkeiten; es wurde beschlossen, nach einigen 
Monaten auf neuen Konferenzen in Wien die landständische Frage, 
sowie eine allgemeine Revision der Bundesakte in Behandlung zu 
nehmen. 
Die Karlsbader Abreden wurden darauf dem Bundestage zur 
Annahme vorgelegt. Die 30 kleinen Regierungen erfuhren hier erst 
den Inhalt derselben, aber die Großmächte verboten energisch längere 
Erwägung und Aufschub der Entscheidung. Die Kleinen fügten sich 
furchtsam; zu Protokoll sagten sie einstimmig Ja; dafür durften die 
Dissidenten ihr Nein in einer geheimen Registratur der Nachwelt 
überliefern. 
So hatte Metternich, im Widerspruch mit seinen frühern An¬ 
sichten, eine mit diktatorischen Vollmachten ausgestattete Bundesgewalt, 
ein drohendes Zerrbild deutscher Einheit, in das Leben gerufen. Sein 
Rechtstitel war die Vorschrift der Bundesakte, daß der Bund für die 
innere Sicherheit Deutschlands zu sorgen habe. Offenbar aber griffen 
die Beschlüsse dem ersten und höchsten Grundsätze der Bundesakte, der 
Unabhängigkeit der Eiuzelstaateu, an das Leben. Denn wenn man 
den Begriff der Sicherheit so weit ausdehnen durfte, wie hier ge¬ 
schehen, so konnte man von Bundeswegen, wo es nötig schien, eben¬ 
sowohl wie Schule und Presse, auch Straf- und Prozeßrecht aller 
Einzelstaaten regulieren, und zuletzt sämtliche Polizisten und Soldaten 
1) August 1819.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.