Full text: Geschichtliches Lesebuch

22 II. v. Sybel, Erste Jahre des Bundestags. 
derselben in Eid und Pflicht der Bundesgewalt nehmen, alles zum 
Schutz der innern Sicherheit. Auf diesem Wege eröffnete sich für 
Kaiser Franz die Aussicht, nicht gerade, wie Metternich jubelte, die 
Stellung eines deutschen Kaisers zu gewinnen, wohl aber der Chef 
einer allmächtigen deutschen Polizei zu werden. Es war ein energisches 
Heilverfahren, welches Metternich zur Beschirmung der deutschen 
Souveräne gegen die demagogische Seuche anzuwenden gedachte. Die 
Frage war nur, ob den Patienten das Heilmittel nicht gefährlicher 
als die Krankheit erscheinen würde. 
In der That war eine große Anzahl der deutschen Höfe trotz 
ihres Abscheues gegen Demagogen und Zeitungsschreiber mit dem 
Karlsbader Staatsstreich wenig zufrieden. Mehrere mißbilligten den 
Inhalt der dort gefaßten Beschlüsse, fast alle zürnten über die Rück¬ 
sichtslosigkeit und Rechtswidrigkeit des Verfahrens. Selbst Bayern 
und Württemberg, welche doch so tapfer in Karlsbad mitgearbeitet 
hatten, empfanden nachher Bedenken über die Tragweite der dort be¬ 
thätigten Grundsätze und die möglichen Konsequenzen für die Unab¬ 
hängigkeit der Einzelstaaten. Unter diesen Umständen wurde eine in 
Berlin sich vollziehende Wendung entscheidend. Nicht ans Abneigung 
gegen Österreich, sondern ans Momenten der innern Politik ging sie 
hervor. Zwei große Fragen kamen dabei in Betracht. 
Das berühmte Gesetz vom 22. Mai 1815 hatte Preußen eine 
reichsständische Verfassung in Aussicht gestellt, zeitgemäße Neugestal¬ 
tung der Provinzialstände, und aus diesen hervorgehend eine Repräsen¬ 
tation des Volkes, Reichsstände mit beratender Stimme bei Gesetzen 
über Person und Eigentum, einschließlich der Besteuerung. Es war 
ein sehr mageres Gericht für den Hunger der liberalen Parteien: 
Volksvertreter, nicht vom Volke gewühlt, mit enger Kompetenz unb 
innerhalb derselben nur mit beratender, nicht mit beschließender 
Stimme. Indessen, wie immer beschaffen, eine Verfassung hatte das 
Gesetz dem Volke verheißen; alle Liberalen warteten ungeduldig der 
Erfüllung der Zusage, und Hardenberg war fort und fort mit den 
Vorarbeiten dafür beschäftigt. Nun stieß er aber bei jedem Schritte 
auf den hartnäckigen Widerstand jener Adelspartei, die feit 1808 
Steins und seine eignen Reformpläne bekämpfte, und vernahm aus 
Karlsbad, daß Metternich ganz nach deren feudalem Sinn die Ver¬ 
fassungen der Einzelstaaten zu gestalten wünsche. Sofort war er ent¬ 
schlossen, eine solche Einmischung der Bundesgewalt nimmermehr zu 
gestatten. Dazu kam, daß ein preußisches Gesetz von 1818 die Er-
	        
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