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100. Der Fischreiher.
(I. Löhr.)
Wer das Geringere hochmütig verschmäht, muß zu¬
weilen mit dem Geringsten sürlieb nehmen!
Stolz und hochbeinig ging ein alter Fischreiher auf grüner Wiese
an dem Ufer eines Baches hin. Der warme Sonnenschein lockte ganze
Züge von Fischen aus dem Grunde in die Fluten hinauf, und die
Fische jagten sich in dem Hellen Wasser und spielten und scherzten.
Unser Fischreiher sah manchen fetten Hecht, den er sich mit
leichter Mühe holen konnte, aber: „Hechte!" sagte er und wendete
Hals und Kopf von einer Seite zur andern; „Hechte? — Nein, Hechte
mag ich nicht! Es muß ein Karpfen sein!"
Er stand und lauerte auf einen Karpfen. Aber Karpfen wollte
nicht kommen, Karpfen ist nicht da! — Indessen der Hunger war da
und wurde größer und immer großer.
„Nun so will ich denn nur einen Hecht nehmen, weil es nicht
anders sein soll!" sagte unser Fischreiher; aber die Hechte waren auf
den Grund gegangen, und keiner mehr da. Aber Schleien, schöne^
fette Schleien waren noch genug da und schwammen im Wasser dahin.
„Schleien? Schleien?" sagte der leckere Züngler, „ja, die möchte
ich eben! Das wäre gerade eine Speise für eine Zunge, die Geschmack
hat! ZiehtHin in Frieden, wenn es fehlt, kann ich ja wohl eures¬
gleichen immer haben!" Und die Schleien zogen unangetastet dahin^
wiewohl der Hunger immer stärker an ihm nagte.
Jetzt ging unser Reiher immer tiefer und tiefer in den Bach
hinein, und es zeigten sich zuletzt nur noch Gründlinge.
„Gründlinge nun gar?" sagte der Reiher zu sich selbst, „Gründ¬
linge? Behüt uns Gott! Ich werde mich sehr in acht nehmen, einen
einzigen nur anzurühren. Gründlinge gehörten eben für Fischreihers
Magen!"
Über seine stolzen Bedenklichkeiten waren alle Fische auf den
Grund gegangen, und es ließ sich keiner mehr sehen. Aber der Hunger
war nicht mit den Fischen fortgegangen, sondern nagte und plagte
ihn so sehr, daß er es nicht mehr aushalten konnte. Nicht Hecht,
nicht Schleie, nicht Gründling war mehr da — nur ein paar Frösche
fanden sich, mit welchen er zuletzt fürlieb nehmen mußte.
101. Gebückt, gebückt!
(Ernst und Tews.)
Als ein Jüngling von achtzehn Jahren kam der in
der Folge so berühmt gewordene Benjamin Franklin von
einem nach Pennsylvanien gemachten Ausflüge in seine
Vaterstadt Boston zurück und besuchte den damaligen