Die Poesie.
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Namen davon haben, dass in ihnen meist auf einen längeren
Vers ein kürzerer folgt, enthalten theils Schilderungen ähnlich
wie die Satiren, nur nicht von derselben heiteren und gefälligen
Art, theils nähern sie sich dem Inhalt nach den Oden, für die
sie gewissermassen als Vorstudien angesehen werden können. In
allen diesen Gedichten ist vorzugsweise überall eine heitere
Lebensphilosophie theils in kurzen, durch treffende präcise Fas¬
sung ausgezeichneten Sentenzen theils, wie namentlich in den
Episteln, in ausführlicheren Erörterungen niedergelegt. Er war
nicht ein eigentlicher Epicureer, obgleich er sich im Scherz wohl
diesen Namen beilegt, indessen seine Lebensansichten waren doch
epicureischer Art, er hielt es eben auch für die Aufgabe des
Menschen, das kurze Leben zu gemessen, jedoch, wie er immer
nachdrücklich betont, mit Maass und Anstand, und die anmuthige,
liebenswürdige, durch eine heitere Ironie gewürzte Art, womit er
diese Lebensansichten vorträgt, ist es vorzugsweise, was den
Hauptreiz seiner Dichtungen ausmacht.
Die übrigen drei der oben genannten Dichter sind Elegiker,
Tibull und Properz ausschliesslich, Ovid wenigstens in dem gröss¬
ten Theil seiner Dichtwerke, sie gehören also einer Dichtungs¬
gattung an, die — wie sich ihr Gebrauch im Laufe der Zeiten
festgestellt hat — zwischen der epischen und lyrischen mitten-
inne stehend, Handlung und Empfindung, jene aber nur als
Grundlage der Empfindung, zum Gegenstand hat, für die daher
auch die einfachste, den epischen Hexameter in sich schließende
Strophe das herrschende Metrum ist.*) Alle drei waren zwar
Zeitgenossen des Vergil und Horaz, aber bedeutend jünger als
diese, so dass sie von deren Erwerb für die dichterische Sprache
und für Metrik und Rhythmus bereits Gebrauch machen konnten.
Albius Tibullus war um 50 v. Chr. in Rom geboren. Wir
besitzen unter seinem Namen vier Bücher Elegien, von denen
aber wahrscheinlich nur die beiden ersten echt sind. In densel-
*) Ovid drückt dies in der ersten Elegie seiner Amoren sehr anmuthig
so aus: Er habe eigentlich ein episches Gedicht verfassen und daher nur
Hexameter gehrauchen wollen, Amor habe ihm aber immer im je zweiten
Verse einen Fuss gestohlen und ihn so genöthigt, Liebeslieder, also Elegien,
zu dichten.
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