VII. Im Walde. 103
Es fand den großmütigen Löwen von einem starken Netze um—
schlungen, das der Jäger künstlich ausgespannt hatte, um damit große
Waldtiere zu fangen.
Die Stricke hatten sich so künstlich zusammengezogen, daß der Löwe
weder seine Zähne noch die Stärke seiner Tatzen gebrauchen konnte,
um sie zu zerreißen. „Warte nur, mein Freund,“ sagte das Mäuschen,
„da kann ich dir wohl am besten helfen!“ Es lief hinzu, zernagte die
Stricke, die seine Vordertatzen gefesselt hatten, und als diese frei waren,
zerriß er das übrige Neß und ward so durch die Hilfe des kleinen
Mäuschens wieder frei. Nach ÜNop.
209. Der Löwe und der Hase.
Ein Löwe würdigte einen drolligen Hasen seiner näheren Bekannt⸗
schaft. „Aber ist es denn wahr,“ frägte ihn einst der Hase, „daß euch
Löwen ein elender, krähender Hahn so leicht verjagen kann?“
„Allerdings ist es wahr,“ antwortete der Löwe, „und es ist eine
allgemeine Anmerkung, daß wir großen Tiere durchgängig eine gewisse
kleine Schwachheit an uns haben. So wirst du zum Exempel von dem
Elefanten gehoͤrt haben, daß ihm das Grunzen eines Schweines Schauder
und Entsetzen erweckt.“ —
„Wahrhaftig?“ unterbrach ihn der Hase. „Ja, nun begreif' ich
auch, warum wir Hasen uns so entsetzlich vor den Hunden fürchten.“
Gotthold Ephraim Lessing.
210. Der Esel in der Löwenhaut.
Nin Esel, dem die Arbeit nicht gefiel, war dem NMüller ent-
laufen und hatte in dem Walde einen herrüchen Fund gemacht.
Is war eine noch ganz frische Löwenhaut. „Li,“ sagte der
Esel. „die KLommt mir recht,“ und wickelte sie so um sieh, dass
er von weitem wirklich einem Löwen ahnlich sah. Da dle TLiere
diesen ungeheuern Löwen erblickten, flohen sie und verkrochen
sich in ihre Höhlen. Da wurde der Esel übermütig und dachte:
„Nun will ieh sie erst recht in Angst treiben. Wenn ieh brülle
Vie der Löwe, wird gar niemand in den Wald zu kommen
wagen, und ich kann nach Belleben mein Futter suchen.“ Und
damit sing er an ganz schrecklich ia! ial zu schreien. Da lachten
die Tiere und kamen wieder aus den Höhlen hervor und ver-
gpotteten den dummen Betrũger. Etliche aber liefen zu dem Mũller
und verkündeten demselben, wo sein fortgelaufener Sacktrãger
Geh aufhalte. Der eilte in den Wald, nahm einen tüchtigen
Prũgel und, ohne sich an die Lõwenhaut, aus welcher die langen
PEselsohren hervorguekten, zu kehren, trieb er seinen Langohr mit
Schlägen in den Stall zurüũck. Wilhelm Ourtman.