Full text: Die Neuzeit (Band 3)

Die Litteratur des achtzehnten Jahrhunderts. 307 
Zehnte Jahrhundert dem gewaltigen Umschwung der menschlichen 
Anschauungen vor, der am Ende des Jahrhunderts in Frankreich 
erfolgte und unserer Zeit sein Gepräge aufgedrückt hat. 
Es war ein von den verschiedenartigsten Gedanken und 
Vorstellungen bewegtes Jahrhundert, welches in der französischen 
Revolution seinen Abschluß faub. Die Gähruug Zeigte sich aus 
allen Gebieten unb häufig traten bie schärfsten Gegensätze unver¬ 
söhnt neben einanber. Währenb man bie Herrschaft bes mensch¬ 
lichen Geistes beanspruchte und bie Wnnber ber geoffenbarten 
Religion für einen überwundenen Standpunkt erklärte: trieb man 
gleichzeitig mit Wuuderkuren, Geistererscheiuuugen und übernatür¬ 
lichen Heilmitteln ein freches Spiel. Kounte es doch vorkommen, 
daß ein solcher Wundermann sich sür den Geist eines vor Christi 
Geburt gestorbenen jüdischen Weisen ausgab, daß ein anderer 
sich rühmte, 300 Jahre alt zu sein und ein Mittel zu besitzen, 
welches das Leben derartig verlängere. Die Vorliebe sür das 
Wunderbare und Unbegreifliche, das dem sonst so sreigeistigen 
Jahrhundert.anhaftet, zeigt sich in der Stiftung geheimnisvoller 
Orden, der Freimaurer, der Jllumiuaten, d. H. der Erleuchteten, 
der Rosenkreuzer n. a. Es war dabei eine Spielerei mit 
Schwüren, Sinnbildern, feierlichen Brauchen, „wie sie für alle 
die einen Zauber haben, die auf solche Weise in bequemer An¬ 
regung zu einer höhernWeisheit zu gelangen hoffen." Der Schwede 
Swedenborg erklärte, in Gesprächen mit Gott, mit den En¬ 
geln und ben Seelen ber Verstorbenen höhere Offenbarungen er¬ 
halten zu haben, unb er faub einen großen gläubigen Anhang. 
Das alles aber geschah zn einer Zeit, wo bte Naturwissenschaften 
einen hohen Aufschwung nahmen, wo ber bentsche Mathematiker 
Euler bie Natur bes Lichtes erforschte, ber En glaub er D 0 l- 
I ott b bie Ferngläser verbesserte, wo ber Franzose Busfon ber 
Begrürtber ber Zoologie, ber Schwebe Sinne ber ber Botanik 
würbe, unb wo ber Philosoph Kant bie menschliche Vernunft 
untersuchte unb bie Grenze bes Erkennens festzustellen sich bemühte. 
Gauz ähnlich stießen sich bie Gegensätze auf bent Gebiete 
des Staates und des täglichen Lebens. Man schwärmte für die 
reine Menschlichkeit und versuchte in Kinder- und Volksschriften, 
sowie durch eine vernünftig geregelte Jugenderziehung dafür zu 
wirken; daneben aber hielten sich Hexenprozesse und die Folter 
bei richterlichen Untersuchungen. Und während die Stimmen 
immer lauter wurden, welche die gedrückten rechtslosen Volks¬ 
klassen zn einem menschenwürdigen Dasein emporheben wollten, 
welche für sie zugleich einen Anteil an ber Staatsleitnng forber- 
ten: wucherte in großen unb kleinen Gebieten bas allein giftige 
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