Die Humanisten. Erasmus. 37
Abstufungen, von Männern des Glaubens und ernster Sitten an,
bis Zu jenen sittlich verkommenen Subjekten herab, die in heid¬
nischem Lebenswandel und frivoler Schönrednerei die Grundlagen
des christlichen Glaubens zu untergraben suchten. In dem
Streite der von heidnischem Geiste durchdrungenen Humanisten
Deutschlands mit den Vertretern der Theologie, stehen drei Män¬
ner im Vordergründe: Erasmus von Rotterdam, Renchlin und
Hutten.
Erasmus von Rotterdam (geb. 1467, gest. 1536),
war von zartem, schwächlichem Körperbau, innerlich haltlos und
schwankend, voll Eitelkeit, Mißtrauen und argwöhnischer Beobach¬
tung, ein hitziger Kopf und Schönredner, dem es mehr auf die
Form, als auf den Inhalt ankam, und der, als der eigentliche
Tonangeber des sechzehnten Jahrhunderts bei allen Ständen
ungeheuren Beifall erntete, durch seinen beißenden Witz den
Großen Furcht und Schrecken einjagte und von den um sein Lob
buhlenden Fürsten mit Gunstbezeugungen überhäuft wurde.
Schon frühe von seiner Familie für das Klosterleben be¬
stimmt, doch ohne inneren Beruf für dasselbe, kehrte Erasmus
in die Welt zurück, wurde im Jahre 1492 von dem Bischof von
Eambrai, seinem Gönner, zum Priester geweiht und lebte seitdem
ausschließlich den Wissenschaften. Für die scholastische Theologie
gebrach es seinem Geist an Ernst und Tiese; dagegen wurde er
ein Meister im Lateinischen und Griechischen und erwarb sich
nicht unbedeutende Verdienste um die Ausbildung des guten Ge¬
schmacks. Von seiner unermüdlichen Thätigkeit zeugt der be¬
deutende Umsang seiner Werke, die neun Folianten ausfüllen. —
Ohne seine Angriffe direkt und augenfällig gegen den Glauben
der Kirche zu richten, verfolgte Erasmus mancherlei abergläu¬
bische Gebräuche und kirchliche Mißstände mit den Waffen des
Spottes so, daß auch die Sache selbst, an welche der Mißbrauch
sich angehängt, getroffen wurde, und die oberflächliche, leicht über
die Gegenstände weggleitende, Zweifel und Verdächtigungen nach
allen Seiten hin ausstreuende Art und Weise, mit welcher er
kirchliche und theologische Fragen behandelte, war nur allzusehr
geeignet, die Gemüter mit erhöhtem Argwohn gegen alles Kirch¬
liche zu erfüllen und für eine neue Lehre empfänglich zn machen.
Anfangs hatte er Luther's Auftreten mit Wohlgefallen begrüßt;
die ausgesprochen revolutionäre Wendung, welche bald die kirch¬
lichen Neuerungen nahmen, führten ihn jedoch zu der Überzeu¬
gung, daß auf diesem Wege die Heilung der kirchlichen Gebrechen
nicht zn erwarten sei. Während er bis dahin der Bewegung
teilnahmslos gegenübergestanden, trat er nunmehr als Gegner