Full text: Die neueste Zeit (Band 4)

König Wilhelm I. Die neue Ära. 195 
dem durch ein Gehirnleiden an der Selbstregierung gehindert. 
In seinem Anftrage übernahm des Königs Bruder Wilhelm, 
Prinz von Prenßen (Anm. S. 179) zunächst die Stellvertretung, 
dann seit dem 9. Oktober 1858 die Regentschaft. Als Friedrich 
Wilhelm IV. am 2. Januar 1862 starb, bestieg der Regent, 
Prinz von Preußeu, als Wilhelm I. den Thron. Geboren 
den 22. März 1797, der zweite Sohn Friedrich Wilhelms III., 
erhieü er wie fein Bruder, seine erste Erziehung unter Leitung der 
Königin Luise. Anfangs schwächlich, entwickelte sich sein Körper 
seit dem Eintritt in die Iüugliugsjahre Zu großer Rüstigkeit. 
Erst nach der Schlacht bei Leipzig erlaubte ihm sein Vater, 
ihn ins Feld zu begleiten. Durch seine Auszeichnung in der 
Schlacht bei Bar-sur-Aube (27. Februar 1814) erwarb er 
sich das eiserne Kreuz. Seine große Vorliebe für den kriegeri¬ 
sch eu Berus, die thätige Beteiligung au allen Zweigen des Dien¬ 
stes ließ den Prinzen schnell zu den höchsten Chargen im Heere 
emporsteigen. Am 11. Juni 1829 vermählte er sich mit der 
Prinzessin Auguste von Sachsen-Weimar. Nach der Thron¬ 
besteigung seines kinderlosen Bruders erhielt er als mutmaßlicher 
Thronerbe den Titel „Prinz von Preußen." Beim Ausbruch 
der Revolution in Berlin richtete sich die Abneigung des Vol¬ 
kes gegen das Heer auch gegen ihn, als den eifrigsten Beförde¬ 
rer des Militärwefens, weshalb er sich auf den Wunsch des Kö¬ 
nigs nach England begab. Im Jahr 1849 führte er den 
Oberbefehl über die preußischen Truppen, welche den Aufstand 
in der bayerischen Pfalz und in Baden unterdrückten 
(s. S. 127). 
Mif dem Antritt der Regentschaft begann in Preußen die 
„neue Ara." Der Prinz entließ das Ministerium Manteuffel, 
dessen auswärtige Politik ihm nicht energisch genug schien, und 
berief ein neues, an dessen Spitze der Fürst von Hohen- 
zollern-Sigmaringe u trat, und welches das größte Ver¬ 
trauen genoß. 
Nach dem Tode seines Bruders begann König Wilhelm 
seine Regierung mit einer umfassenden Neugestaltung des Heeres, 
um bei den erwachten Besorgnissen vor Frankreich das 
Bundesgebiet schützen zu können. Eine fünfzigjährige Erfahrung 
im Militärwesen ließ ihn dessen Vorzüge und Mängel erkennen 
lind führte ihn zu der Überzeugung, daß, wenn man von Preußen 
bedeutende Leistungen erwarte, auch das Heer einer verbesserten 
Einrichtung bedürfe. Die neue Heereseinrichtung, die des Kö¬ 
nigs eigenstes Werk war, fand Widerstand bei der Volksvertre¬ 
tung, und selbst der ministeriell gesinnte Landtag von 1858 bis 
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