110 Vierter Zeitraum. Von d. Neugründ. d. Deutsch. Reiches bis z. Ende d. stauf. Kaiser.
Panzer, darüber ein langer, ärmelloser, buntseidener Rock, in welchen das Wappen
gestickt war, Panzerstrümpfe für Füße und Schenkel, ein eiserner Helm mit
Schlitzlöchern für die Augen (Visier), hoch überragt von seltsamen Tiergestalten,
welche die Hauptfigur des Wappens darstellten. — Die Wohnung des Ritters war
eine feste Burg, damals aus Holz, in späterer Zeit aus Stein aufgeführt.
Sie lag in der Regel auf einer Anhöhe oder in einer sumpfigen Niederung.
Ihre wichtigsten Bestandteile waren: Die Ringmauer mit dem Burgthor, das
durch die Zugbrücke und das Fallgatter befestigt war, der Bergsried oder Turn
(Turm) mit dem Verließ, der Palas mit dem Rittersaal und der Kemenate für
die Frauen, die Burgkapelle. — Das Leben auf deu Ritterburgen war im Winter
sehr einförmig und einsam. In der guten Jahreszeit brachten vor allem die
Kampfspiele angenehme Abwechslung. Diese fanden zur Übung für den
Krieg und zur Kurzweil statt. Die beliebteste Form war die Tjost [iusta
(pugna), d. i. der rechte Kamps], bei der zwei Ritter mit den Speeren gegen¬
einander rannten (Speerstechen); großartiger und aufregender erscheinen die Massen¬
kampfe des Turniers wobei es galt, die Scharen der Gegner durch Ab¬
sangen einzelner so zn schwächen, daß sie den Widerstand aufgeben mußten. —
Während der Kreuzzüge entstanden durch eine Verschmelzung des Rittertums mit
dem Mönchtum die geistlichen Ritterorden (S. 104).
b) Wirtschaftliche Verhältnisse. Das Erwerbsleben unseres Volkes zeigt
einen gewaltigen Aufschwung. Noch beständig wurden auf deutschem Boden
Rodungen und Entsumpfungen vorgenommen und so das Antlitz
unseres Vaterlaudes immer schöner und freundlicher gestaltet. Zugleich aber
lenkten, angelockt von den günstigen Anerbietungen der Grundherren (Fürsten,
Ritter, Klöster, Unternehmer"), jährlich Tausende von deutschen Bauern ihre
Schritte nach den dünn bevölkerten, von den Slaven nur dürftig angebauten o st¬
eift ischen Ländern und gewannen hier unter dem Schutze des deutschen Schwertes
ein unermeßliches Gebiet für den deutschen Pflug und die deutsche Gesittung.
Zu den bäuerlichen Ansiedelungen gesellten sich seit der Wende des 12. Jahrhun¬
derts immer mehr städtische Gründungen deutscher Bürger. Damals entstanden
z.B. Stralsund, Berlin (etwa 1240), Breslau, Dresden, die deutsche
Stadtgemeinde in Prag und in Posen, um dieselbe Zeit im Deutschen Ordens-
staute Thorn, Kulm, Marienwerder, Elbing, Königsberg. Bis
nach dem Finnischen Meerbusen und bis in die Karpathen (Ungarn, Sieben¬
bürgen) drangen deutsche Ansiedler vor und gründeten Niederlassungen, die noch
heute, umgeben von fremden Stämmen, ihr Volkstum bewahren (Riga bereits
1201 gegründet).
Diese Krastentsaltnng unseres Bürgertums war eine Folge der glänzenden
Entwicklung des Handels und Gewerbes ans altdeutschem Boden. Während der
1 Zahlreiche Wendungen wie: „In die Schranken fordern", „Aus
dem Sattel heben" u. s. w., sind aus der Sprache der Turniere in die all¬
gemeine Sprache des Volkes übergegangen.
2 Die Unternehmer waren Leute, die von dem Landesherrn ausgedehnte
Ländereien zur Anlage von Dörfern angewiesen bekamen und das erbliche Schulzen¬
amt erhielten. Der Name „Schulze" kommt in jenen Gegenden besonders häufig
vor, ähnlich wie „Lehmann" (— Lehnmann).