372 Neunter Zeitraum. Von d. Wiederherstellung d. Deutsch. Reiches b. z. Gegenwart.
die Heimreise an. Von einem Fenster des Charlottenburger Schlosses folgte
er mit den Augen dem Leichenzuge seines Vaters.
e) Friedrichs III. kurze Regierung und Tod. Die Regierung des
Kaisers Friedrich dauerte nur 99 Tage. Es war ihm daher nicht ver¬
gönnt, seine wohlmeinenden Absichten zu verwirklichen. Gewissenhaft er¬
ledigte er die laufenden Geschäfte, mochte ihm auch die Krankheit noch
so viele Schmerzen verursachen. „Lerne zu leiden, ohne zu klagen",
war sein Vermächtnis an seine beiden Söhne.
Der 15. Juni endigte die qualvollen Leiden des königlichen Dulders.
Die Leiche wurde zunächst in der Friedenskirche zu Potsdam (S. 325)
beigesetzt, um später in ein neben dieser Kirche erbautes Mausoleum
übergeführt zu werden. Mit dem Kaiserhause betrauerte das ganze deutsche
Volk den allzu frühen Hintritt des vielgeliebten Herrschers. Auch im Aus¬
lande gab sich herzliche Teilnahme funb; überall zollte man der Seelen¬
größe des Entschlafenen ungeteilte Hochachtung. Zum Andenken an den
herrlichen Gemahl nahm die Kaiserin Viktoria den Titel „Kaiserin
Friedrich" an.
3. Kaiser Wilhelm II. (seit dem 15. Juni 1888).
a) Kindheit und Jugend. Unser Kaiser erblickte das Licht der Welt
am 27. Januar 1859. Als Kind sehr zart (vgl. S. 326), überwand
er durch unermüdliche Übung und zähe Ausdauer alle Hindernisse der
Natur, so daß er im Turnen, Schwimmen und Reiten eine große
Fertigkeit erlangte. Zehn Jahre alt, wurde er nach der alten Sitte seines
Hauses als Lieutenant in die Armee eingereiht. Mit dem 16. Jahre kam
der Prinz auf das Gymnasium zu Kassel und bestand kurz vor seinem
18. Geburtstage „in ehrenvoller Weise", wie es in dem Jahresbericht der
Anstalt heißt, die Reifeprüfung. Bei seinem Abgange von der Schule
erhielt er eine der Denkmünzen, welche an die drei fleißigsten und würdigsten
Primaner verteilt wurden.
b) Die Zeit der Ausbildung im Heeres- und Staatsdienst. Mit
18 Jahren mündig erklärt, trat Prinz Wilhelm als dienstthuender Lieu¬
tenant ins Heer ein, lernte der Reihe nach den Dienst bei allen Waffen¬
gattungen kennen, wandte auch der aufblühenden Marine, der sein Bruder
Heinrich als Offizier angehörte, seine lebhafte Teilnahme zu und stieg
kurz vor dem Tode seines kaiserlichen Großvaters zu der Würde eines
Generals empor.
Inzwischen besuchte er zwei Jahre lang die Hochschule zu Bonn
(1877—1879), wo er die Rechts- und Staatswissenschaften, daneben aber