Full text: Deutsche Fürsten- und Ländergeschichte, deutsche Reformationsgeschichte (Band 2)

58 Drittes Buch. I. Abschnitt: Bilder aus der äußeren Geschichte. 
Sigismund jedes festen, sittlichen Haltes, er galt für leichtfertig, unzuverlässig 
und doppelzüngig. Mit der Kirchenreform war es ihm allerdings Ernst, und 
in seiner Hand hat sich das Kaisertum zum letztenmal als die leitende Ge¬ 
walt des ganzen Abendlandes in dieser Frage bewährt, aber er faßte sie 
doch ganz und gar in dem äußerlichen Sinne wie die Vertreter der Hierarchie 
überhaupt auf, als eine Beseitigung der argen Mißbräuche in der Verwaltung 
der Kirche durch eine Beschränkung der päpstlichen Gewalt; der Gedanke an 
eine Änderung der Kirchenverfassung oder gar der Lehre lag dieser konser- 
vativ-aristokratischen Richtung völlig fern. 
Wiclef. Und doch drängten sich Bestrebungen dieser Art immer mehr 
in den Vordergrund. Eine radikal-demokratische Richtung machte sich vor¬ 
nehmlich in der niederen Geistlichkeit geltend. Im Grunde so alt wie die 
Kirche selber, wurde sie jetzt neu belebt durch die Entrüstung über den Mi߬ 
brauch der päpstlichen Gewalt und gefördert von der deutschen Mystik, welche 
die unmittelbare Gemeinschaft des Menschen mit Gott ohne die Dazwischen- 
knnft kirchlicher Gnadenmittel erstrebte. Ein Engländer rein germanischer 
Abkunft, John Wiclef von Oxford, war es, der diese Anschauungen zuerst 
zu einem geschlossenen Systeme zusammenfaßte, getragen von der gewaltigen 
nationalen Erhebung seines Volkes unter Eduard III. Er verwirft, aus¬ 
gehend von der alleinigen Autorität der heiligen Schrift, die Siebenzahl der 
Sakramente, insbesondere die Brotverwandelungslehre im Abendmahle, damit 
die Mittlerstellung des Klerus und alles, was sich daran knüpfte: Fegefeuer, 
Totenmessen, Ablaß, Heiligenverehruug, Reliquiendienst, Mönchtum; die Kirche 
ist ihm die Gemeinschaft der Gläubigen oder Erwählten, ihr Haupt Christus, 
nicht der Papst. Daraus folgert er weiter, daß der eines geistlichen Amtes 
unwürdig ist, der eine Todsünde begeht, und daß das Kirchengut nicht der 
Geistlichkeit gehört, sondern der Gemeinde; für den Staat aber nimmt er 
die Unabhängigkeit von der Kirche und das Recht, über zweckwidrig ver¬ 
waltetes Kirchengut zu verfügen, in Anspruch. Gregor XI. verdammte 1377 
19 seiner Sätze, und ein englisches Konzil in London verwarf 1382 ihrer 
45, aber Wiclef starb unangefochten auf seiner Pfarre Lutterworth am 
31. Dezember 1384. In England durchzudringen, ist ihm also nicht be¬ 
schießen gewesen, doch die Feuerfunken, die von ihm ausgingen, entzündeten 
den ungeheuren Brennstoff, der in Böhmen aufgehäuft lag. 
Böhmische Zustände. Die glänzende Ausstattung, die Karl IV. der 
Kirche feines Stammlandes verliehen hatte, war ihr weit mehr zum Fluche 
als zum Segen geworden. Die höhere Geistlichkeit erlag den Versuchungen 
des Reichtums, während die niedere, übermäßig zahlreich, schlecht besoldet 
und mangelhaft gebildet, zu einem höchst gefährlichen, meist sittenlosen Prole¬ 
tariate erwuchs. Und wie die Tausende von Vikaren und Altaristen voll 
Eifersucht und Neid auf die besser gestellten Standesgenossen blickten, so 
mischten sich diesem gegenüber bei den Laien Verachtung und Begehrlichkeit, 
besonders bei dem Adel, dessen Vorfahren jene Stiftungen großenteils gemacht 
hatten, und bei dem hörigen Landvolke, welches darbte, während Mönche und 
Prälaten schwelgten. Dazu trat der politische und soziale Gegensatz zwischen 
den deutschen Stadtgemeinden und dem überwiegend tschechischen Adel, der 
es jenen nicht verzieh, daß sie dem Königtum eine Stütze gegen seine Be-
	        
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