H. v. Moltke, Die Sklaverei bei den Türken.
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Seeufern und in den Sumpfgebieten. Die Herden weidender Pferde
werden von übermütig einher sprengenden Hirten (Csikös) mit lanzen¬
artigen Stöcken gehütet, während die Schafe in der Hut des Juchäss
stehen. Auf keiner Pufsta fehlt der Ziehbrunnen mit riesigen
Stangen und die einfache Schäferhütte. Ortschaften sind dagegen in
der Steppe spärlich vorhanden. Die Dörfer sind sehr einförmig ge¬
baut, die Gehöfte meist mit einem Schilfzaun umschlossen und die
Dächer mit Schilf gedeckt, und dasselbe Aussehen zeigen auch die
Städte. Ausser Dörfern und Städten giebt es noch vereinzelte abseits
gelegene Güter und Heideschenken oder Csardas.
In der neuesten Zeit hat die Pufsta gar manche Veränderungen
erfahren; der Wanderer begegnet jetzt zahlreichen, gut gepflegten
Landstrichen, wogenden Getreidefeldern und blühenden Naispflan¬
zeigen. Schon durchbraust die Lokomotive nach vielen Richtungen
das unermessliche Gebiet, dessen wichtigste Stadt, Debreczin, heute
über 50000 Einwohner zählt und grossstädtisches Leben zeigt.
Mit der Steppe eng verbunden sind die Sümpfe. Sie sind die
natürlichen Wasserbehälter in dem unter Trockenheit so sehr leiden¬
den Lande. Hur über den Sumpflandschaften bilden sich Wolken,
und nur hier erfolgen reichliche Niederschläge, daher nur im Um¬
kreis der Sümpfe Wald und Feldbau zu finden ist. An ihren Ufern
drängen sich Millionen schlanker, über sechs Meter hoher Schilf¬
stengel empor. Eine reiche Fülle seltsam geformter Pflanzen
schaukelt sich auf dem glatten Wasserspiegel. Blasse Seerosen und
goldglänzende Villarsien, blaues Vergissmeinnicht, gelbe Wasserlilien
und weisse Ranunkeln schwimmen in prächtigen Blütensträussen auf
der kaum bewegten Flut Zugleich ist dieser Schilfurwald die
Heimat unzähligen Wassergeflügels und vieler Millionen Insekten.
Nur der Schrei des Kaiseradlers und das dumpfe Brüllen der
Rohrdommel unterbricht die Stille dieser Rohrwildnis. Wenn aber
des Abends weisse Nebel in gar sonderbaren Formen aus den
Sümpfen hervorquellen und das Schilfrohr wie erschreckt lauter
aufrauscht im Windhauch, dann rücken die Hirten am Rande des
Sumpfes näher zusammen um ihr Feuer und erzählen sich schaurige
Geschichten von der blondlockigen Wasserfrau, die im Sumpfe haust.
102. Die Sklaverei bei den Türken.
Graf Helmuth von Moltke, Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei.
Wenn von der Sklaverei im Orient die Rede ist, so wird dabei
fast immer der himmelweite Unterschied übersehen, welcher zwischen
einem türkischen und einem Negersklaven in Westindien besteht.
Schon der Name Sklave in dem Sinne, welchen wir mit jenem
Worte verbinden, ist falsch. Abd heisst nicht Sklave, sondern viel¬