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b) Joseph ü. hatte als Kaiser vergebens eine Besserung der Reichs¬
justiz (durch eine Visitation des Reichskammergerichtes zu Wetzlar und Ab¬
stellung der Mißbräuche an dem Reichshofrat zu Wien) versucht. Nachdem
er die Alleinherrschaft in Österreich erlangt hatte, trat er mit umfassenden
Plänen zur Erneuerung des Staates hervor:
1. Österreich sollte ein einheitlicher Staat werden (mit deutscher
Verwaltungssprache); deshalb wurden die Sonderrechte der einzelnen Provinzen
in Verwaltung und Gesetzgebung ausgehoben.
2. Alle Unterthanen sollten gleiche bürgerliche Rechte haben;
daher wurde die Leibeigenschaft aufgehoben, durch das Toleranzedikt
den Protestanten politische Gleichstellung mit den Katholiken, den Juden privat¬
rechtliche Gleichstellung eingeräumt.
3. Der Einfluß des Klerus sollte beschränkt werden; daher wurde die
Verkündigung päpstlicher Erlasse (Bullen und Breveu) von dem landesherr¬
lichen Plaeet abhängig gemacht; Abgaben nach Rom wurden verboten; die
Klöster wurden, soweit sie sich nicht mit Erziehung und Krankenpflege be¬
faßten, aufgehoben^.
Ein Besuch des Papstes Pius VI. in Wien (1782) blieb ohne Wir¬
kung; dagegen scheiterte die geplante Zentralisation Österreichs an dem Wider¬
stände der Ungarn und an dem Aufstand in den zugleich durch die Nachricht
von dem beabsichtigten Ländertausch (s. S. 122) ausgeregten Niederlanden.
c) Gegen das Ende seiner Regierung ließ sich Joseph in ein russisches
Bündnis und einen Krieg gegen die Türkei ein, welcher die Eifersucht
Preußens wach rief, zunächst auch schwere Verluste für Österreich brachte.
Kaiser Joseph II. sah am Ende seines Lebens fast alle seine Pläne ge¬
scheitert. Erst seinem Brnder und Nachfolger Leopold II. (1790—92) ge¬
lang die Beendigung des Türkenkrieges, der Ausgleich mit Preußen und die
Unterwerfung der Niederlande.
Joseph II., Dort den Lehren der französischen Anfklärnngsphilofophen beeinflußt,
versuchte in Ölterreich eine ähnliche Umbildung ber aus dein Mittelalter überkommenen
gesellschaftlichen Ordnung, mit! sie zehu Jahre später bie französische Revolution auf
gewaltsamerem Wege erreichte. Jubem er babei das Herkommen nicht schonte2, erregte
er bcn Widerstand bes Abels unb ber Geistlichkeit, während ber deutsche Bürgerstand
vielfach iu den Jofephinifchen Reformen den Anbruch einer ueueu Zeit erblickte; vergl.
Klopstocks „Ode au beit Kaiser".
Das russisch-österreichische Einvernehmen, angebahnt bnrch eine Zusammenkunft
1 Die Menge der Mönche und Nonnen in Österreich wurde dadurch von 63000 auf
27 000 vermindert.
2 Er unterwarf z. B. auch Adelige den von ihm eingeführten entehrenden Strafen
des Gaffenkehrens und Schiffsziehens. Die Todesstrafe hob Joseph auf.