Full text: Mittelalter (Teil 2)

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seine Thür geheftete Schrift und durch drei starke Schläge an dieselbe zur 
Nachtzeit vorgeladen. Erschien er nach dreimaliger Ladung nicht, so wurde 
er, wenn der Kläger durch sechs Eideshelfer die Anklage beschwor, verfehmt 
oder verurteilt. Gestand der Angeklagte, so wurde das Urteil sogleich voll¬ 
zogen; leugnete er, so konnte er sich durch einen Eid reinigen, während der 
Gegner zwei Eideshelfer aufstellen konnte, die der Angeklagte dann durch 
sechs, endlich durch einundzwanzig entkräften konnte, worauf er freigesprochen 
ward. Die Strafe bestand in Geldbuße, Landesverweisung und Tod, der 
sogleich durch Dolch oder Strick vollzogen ward. Erschien der Angeklagte 
nicht, so hatte jeder Wissende die Pflicht, ihn mit zwei anderen Wissenden, 
wo er ihn traf, zu erdolchen oder an einen Baum zu hängen, wobei ein 
Dolch in den Baum gesteckt oder daneben gelegt ward, als Zeichen, daß 
ihn die Hl. Fehm gerichtet habe. Wenn drei Freischöffen jemanden auf 
einer todeswürdigen That betrafen, so durften sie ohne weiteres dieselbe 
Strafe an ihm vollziehen. Kein Wissender durfte, bei eigener Todesstrafe, 
einem Verfehmten einen Wink geben, kein Freischöffe seinen Beistand ver¬ 
weigern, selbst nicht gegen seine nächsten Verwandten. So verbreitete die 
Hl. Fehm Furcht und Schrecken, und Fürsten, Grafen und Ritter sind von 
den Schöffen ergriffen und gerichtet worden. Aber die Heimlichkeit des 
Verfahrens war zugleich die Ursache des Untergangs dieser Gerichte, die 
infolge einer besseren landesherrlichen Rechtspflege nach dem 15. Jahrhun¬ 
dert aufgehoben wurden. 
Das edle Rittertum war im Laufe der Zeit in wildes Raub¬ 
rittertum ausgeartet. Von den Warten ihrer hohen Burgen 
aus suchten die Herren „vom Stegreif" nach den auf der Land¬ 
straße mit ihren Gütern heranziehenden Kaufherren, die dann 
ihrer Waren beraubt und bis zu ihrer Auslösung in die Burgver¬ 
ließe oder gar zum Tode abgeführt wurden. Um so erfreulicher 
ist das Bild, welches die Blüte des Städtewesens und des 
Bürgertums darbietet. 
Heinrich I. hatte die dem Aufenthalte in Städten durchaus abgeneigten 
Deutschen genötigt, sich innerhalb fester Ringmauern mit Burgen nieder¬ 
zulassen, woher sie Bürger hießen (§ 9). Erst später hießen Bürger die 
Handel und Gewerbe treibenden Bewohner im Gegensatz zu dem Adel und 
den Bauern. Mit Heinrich 1. wurden alle Beratungen, Versammlungen, 
Feste, Märkte innerhalb der Städte gehalten, die sich in der Folge mancher¬ 
lei Rechte und Freiheiten erwarben, namentlich einen eigenen Gerichtsstand, 
und die Befugnis, Rat und Bürgermeister aus ihrer Mitte zu wählen. 
Landbewohner, die sich in den Vorstädten (Pfahlbauten) ansiedelten, hießen
	        
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