— 274 —
Stadt festlich begangen, ein neuer Ausdruck des sehnsüchtigen Harrens auf
die deutsche Einigung.
Österreich hatte so von neuem gezeigt, daß es nicht gewillt war, den
preußischen Einfluß in Deutschland wachsen zu lassen. Daß es den deutschen
Bund noch immer beherrschte, zeigte sich klar, als die preußischen Anträge
auf Verbesserung der Bundeskriegsverfassung und auf Förderung
des deutschen Küstenschutzes von dem Bundestage abgelehnt wurden. Um
so mehr erkannte Wilhelm I. die Notwendigkeit, das preußische Heer auf die
Höhe der Leistungsfähigkeit zu bringen. Schon beim Antritt der Regent¬
schaft hatte er ausgesprochen, daß manches im Heerwesen sich nicht bewährt
habe und geändert werden muffe. „Preußens Heer muß mächtig und ange¬
sehen sein, um, wenn es gilt, ein schwerwiegendes politisches Gewicht in die
Wagschale legen zu können." Sorgfältig hatte Wilhelm I. seine Pläne mit
den tüchtigsten Offizieren (v. Roon u. a.) festgestellt. Es handelte sich be¬
sonders um die Vermehrung der Friedensstärke des Heeres, um eine stärkere
Aushebung von Rekruten und um die Verlängerung der Dienstzeit in der
Reserve. Um zugleich das Volk wirtschaftlich zu schonen, sollte die Dienst¬
zeit der Landwehr verkürzt werden. Die Ausführung dieser „Heeres-
teorgcmifotUm", welche des Königs eigenstes Werk war, wurde dem Kriegs¬
minister (später Grasen) von Roon übertragen. Allein das preußische Ab¬
geordnetenhaus hatte zu der deutschen Politik des Königs noch kein Ver¬
trauen und verweigerte trotz langer Verhandlungen wiederholt die Be¬
willigung der erforderlichen Geldmittel. Da trat das liberale Ministerium
1862 zurück, und der Gesandte am Pariser Hofe, Otto von Bismarck-
Schönhausen, wurde nunmehr zum Ministerpräsidenten berufen.
Heute preist das ganze deutsche Volk diesen Mann als den hauptsäch¬
lichsten Begründer der deutschen Einheit nächst Wilhelm I. und rühmt feine
unsterblichen Verdienste. Sein ganzes amtliches Wirken liegt wie ein offenes
Buch vor den Augen des Volkes. Jedermann weiß jetzt, daß er feine deutsche
Gesinnung niemals verleugnet hat. Damals kannte man von ihm nur fein
schroffes Auftreten in reaktionärem Sinne im Vereinigten Landtage von
1847 und in den später folgenden Versammlungen. Die Ernennung dieses
Mannes galt dem Abgeordnetenhaufe als eine Kriegserklärung der Re¬
gierung, und da Bismarck entschlossen war, die Pläne seines Königs durch¬
zuführen, so blieb es bei dem ernsten „Konflikte" mit dem Abgeordneten¬
hause. Erst nach dem Kriege von 1866 wurde derselbe beseitigt. Bis dahin
kam kein Budget zustande. Aber bald fand sich für Wilhelm I. und Bismarck
eine Gelegenheit, ihre deutsche Gesinnung zu bethätigen.