Full text: Das Mittelalter, die neuere und die neueste Zeit (Teil 2)

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Stadt festlich begangen, ein neuer Ausdruck des sehnsüchtigen Harrens auf 
die deutsche Einigung. 
Österreich hatte so von neuem gezeigt, daß es nicht gewillt war, den 
preußischen Einfluß in Deutschland wachsen zu lassen. Daß es den deutschen 
Bund noch immer beherrschte, zeigte sich klar, als die preußischen Anträge 
auf Verbesserung der Bundeskriegsverfassung und auf Förderung 
des deutschen Küstenschutzes von dem Bundestage abgelehnt wurden. Um 
so mehr erkannte Wilhelm I. die Notwendigkeit, das preußische Heer auf die 
Höhe der Leistungsfähigkeit zu bringen. Schon beim Antritt der Regent¬ 
schaft hatte er ausgesprochen, daß manches im Heerwesen sich nicht bewährt 
habe und geändert werden muffe. „Preußens Heer muß mächtig und ange¬ 
sehen sein, um, wenn es gilt, ein schwerwiegendes politisches Gewicht in die 
Wagschale legen zu können." Sorgfältig hatte Wilhelm I. seine Pläne mit 
den tüchtigsten Offizieren (v. Roon u. a.) festgestellt. Es handelte sich be¬ 
sonders um die Vermehrung der Friedensstärke des Heeres, um eine stärkere 
Aushebung von Rekruten und um die Verlängerung der Dienstzeit in der 
Reserve. Um zugleich das Volk wirtschaftlich zu schonen, sollte die Dienst¬ 
zeit der Landwehr verkürzt werden. Die Ausführung dieser „Heeres- 
teorgcmifotUm", welche des Königs eigenstes Werk war, wurde dem Kriegs¬ 
minister (später Grasen) von Roon übertragen. Allein das preußische Ab¬ 
geordnetenhaus hatte zu der deutschen Politik des Königs noch kein Ver¬ 
trauen und verweigerte trotz langer Verhandlungen wiederholt die Be¬ 
willigung der erforderlichen Geldmittel. Da trat das liberale Ministerium 
1862 zurück, und der Gesandte am Pariser Hofe, Otto von Bismarck- 
Schönhausen, wurde nunmehr zum Ministerpräsidenten berufen. 
Heute preist das ganze deutsche Volk diesen Mann als den hauptsäch¬ 
lichsten Begründer der deutschen Einheit nächst Wilhelm I. und rühmt feine 
unsterblichen Verdienste. Sein ganzes amtliches Wirken liegt wie ein offenes 
Buch vor den Augen des Volkes. Jedermann weiß jetzt, daß er feine deutsche 
Gesinnung niemals verleugnet hat. Damals kannte man von ihm nur fein 
schroffes Auftreten in reaktionärem Sinne im Vereinigten Landtage von 
1847 und in den später folgenden Versammlungen. Die Ernennung dieses 
Mannes galt dem Abgeordnetenhaufe als eine Kriegserklärung der Re¬ 
gierung, und da Bismarck entschlossen war, die Pläne seines Königs durch¬ 
zuführen, so blieb es bei dem ernsten „Konflikte" mit dem Abgeordneten¬ 
hause. Erst nach dem Kriege von 1866 wurde derselbe beseitigt. Bis dahin 
kam kein Budget zustande. Aber bald fand sich für Wilhelm I. und Bismarck 
eine Gelegenheit, ihre deutsche Gesinnung zu bethätigen.
	        
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