Metadata: Vom Regierungsantritt Karls des Großen bis zum Tode Friedrichs des Großen (Teil 2 = Klasse 2)

VI. Die Aufklärung. 
193 
feindlichen hellenischen Sophistik widerstrebt auch Locke jeglichem 
Lochflug lebensfremder Spekulationen. Aus dem kartesianischen Ge¬ 
dankenbilde übernimmt er einfach ohne weitere Untersuchung die Schei¬ 
dung der Dinge in denkende und ausgedehnte, in Geister (Seelen) und 
Körper. Aber sicheres Wissen hat der Mensch nur von sich selber. 
Alles Draußen bleibt nach Locke uns fremd, da es uns nur durch 
Umsetzung in seelische Zustände (Empfindung) nahetritt. Das ist aber 
kein Verlust; es ist ja für das praktische Leben und unser Wohl¬ 
ergehen belanglos, und nur darauf kommt es dem Denker an. 
„Warum Sonnenlicht begehren, wenn Kerzenlicht genügt?" Also wird 
die Selbsterforschung zur lohnendsten und wichtigsten Aufgabe, und 
Locke ist dadurch der Begründer der empirischen Psychologie 
und Gesellschaftslehre geworden. Empirisch ist seine Psycho¬ 
logie, insofern dem Schüler Bacos alles Seelische aus sinnlicher Er¬ 
fahrung erwächst. Darum leugnet er, wenigstens auf theoretischem 
Gebiete, den von Descartes behaupteten angeborenen Stammbesitz 
der Seele; sie ist ihm eine Dunkelkammer, die ihr Licht von draußen 
empfängt, ein weißes Blatt, das mit sinnlichem Inhalt erst beschrieben 
werden muß. So bedeutet Seelenleben Werden und Wachsen ein¬ 
fachster sinnlicher Eindrücke (Sensualismus). And aus solchen 
Elementen glaubt nun Locke auch die verwickeltsten Gebilde und Vor¬ 
gänge des Innenlebens herleiten zu können: alles wird „rationalisiert". 
Mit der Leugnung angeborener Anlagen verstrickte sich 
die Aufklärung freilich in einen grundsätzlichen Widerspruch mit ihrem 
Grundstreben und wurde zur seichten Popularphilosophie, deren 
Flachheit dem 18. Jahrhundert seinen Stempel stark aufgeprägt hat. 
Jedoch wird sie mit Unrecht oft als das eigentliche Merkmal der 
Aufklärungszeit verspottet. 
Die sensualistische Ansicht vom Seelenleben wird von 
Locke auf den praktischen Lebensgebieten übrigens nicht festgehalten. 
Vernunftgemäße Gestaltung der Verhältnisse heißt seine Losung. 
Allerdings kann diese bloß vom Menschen ausgehen, der Ver¬ 
nünftiges nur durch Vernunft begründen kann. So wird die „Er¬ 
fahrung" ohne weiteres durch angeborene Vernunftanlage ergänzt, 
und die Ethik Lockes fordert die Unterdrückung der Neigungen, um 
dem allein zu folgen, was die Vernunft als das allgemein Beste 
vorschreibt. Danach soll der einzelne sich jeder herrschenden Autorität 
fügen, wenn sie und solange sie das Beste der Allgemeinheit vertritt, 
also vernünftig ist, mag sie Sitte, Durchschnittsansicht, Staat, Kirche 
oder sonstwie heißen. Denn die sozialen Gebilde sind nichts anderes 
als Vertragsgemeinschaften vernünftiger Individuen, die sich ihnen 
unterordnen, nicht weil sie einmal existieren und Gehorsam fordern, 
Kästner und Brunner, Geschichte. II. 13
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.