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(er bestand etwa aus 240 Mitgliedern der einzelnen Stände)
eine rasche Erledigung der öffentlichen Angelegenheiten fast un¬
möglich machte. Da durch die erlangte Unabhängigkeit der
Fürsten der Reichsverband ganz und gar gelockert worden,
war Deutschland für die Folgezeit nicht mehr imstande, dem
Auslande als geschlossenes kraftvolles Ganzes entgegenzutreten;
aus seinem Boden und mit seinem Blute wurden fortan die
großen europäischen Fragen entschieden. Vom Gesichtspunkte
der allgemeinen europäischen Politik aus betrachtet, wurde durch
den dreißigjährigen Krieg dem staatlichen Übergewichte des
Hauses Habsburg ein Ende gemacht, da sich das Ansehen des
Kaisertums in eine leere Form verwandelte und die spanisch¬
habsburgische Linie mit dem Aufgeben der Niederlande, die
sie auch nach dem Waffenstillstände vom Jahre 1609 nicht
zurückzuerobern vermocht hatte, ihre politische Ohnmacht ein¬
gestand. Dagegen war das Ansehen und die Bedeutung
Frankreichs mächtig gestiegen, und außer ihm trat nun auch
Schweden, beide als Garanten des westfälischen Friedens und
des durch denselben begründeten Zustandes in Europa, in die
Reihe der europäischen Großmächte ein, zu welchen bald als
aufstrebende Macht der junge brandenburg-preußische Staat
hinzukommen sollte, welcher von der Vorsehung dazu auser¬
sehen war, die einzelnen Trümmer des deutschen Reiches wieder
zu einem lebenskräftigen glanzvollen Ganzen zn sammeln und
zu einigen. Da aber eine selbständige Entwickelung des
Brandenburg - preußischen Staates nicht möglich gewesen
wäre ohne die erlangte Landeshoheit der Landesfürsten, so
lag im westfälischen Frieden bei all seinen unmittelbaren
traurigen Folgen doch auch der Keim zu neuen segensvollen
und großartigen Zustünden.