Full text: Lehrbuch der neueren Geschichte

jede amtliche hohe Stellung in der Kirche oder am Hofe eines 
Fürsten ablehnend, zu Basel niederließ. So lange es sich um 
wissenschaftliche Aufklärung handelte, stand er an der Spitze 
seiner Zeit. Als Herausgeber einer Menge von Klassikern und 
Kirchenvätern und als Veranstalter der ersten Ausgabe des 
griechischen neuen Testamentes (1516) erwarb er sich große 
Verdienste. In seinen Schriften im feinsten lateinischen Stile 
geißelte er nicht nur die Abgeschmacktheiten der Mönche, das 
Verkehrte des Heiligeudienstes u. s. w., sondern die Thorheiten 
jedes Standes (sein fxwQtag eyxw/uLov oder stultitiae laus 1508); 
aber obwohl er die Grundlagen der Hierarchie anzweifelte, 
wollte er doch nichts gewaltsam ändern, so daß es ihm nicht 
darauf ankam, sich dem Urteil der Kirche in allen Stücken 
zu unterwerfen, wenn es nicht anders fein konnte. Argwöh¬ 
nisch und leicht gereizt, war er „kein großer Charakter, ohne 
schöpferische Kraft und Tiefe", kein Mann des Volkes, aber 
mit unerschöpflichem Witz begabt und anerkanntermaßen der 
erste und gefeiertste Gelehrte seiner Zeit. Ohne für die Macht¬ 
vollkommenheit des Papstes oder für die Gebrechen der Kirche 
einzustehen,^ schrieb er später doch gegen Luther, indem er mi߬ 
billigte, daß der ausgebrochene Streit vor das Volk gebracht 
worden, und indem er eine mehr vermittelnde Stellung ein¬ 
zunehmen versuchte. Er starb im I. 1536. ' . 
JÜrtdj von Hutten, geboren 1488 ans fränkischem Ritter- i48s 
geschlechte, wurde für den geistlichen Stand bestimmt und in 
der Benediktinerabtei zu Fulda erzogen. Er entfloh aus der¬ 
selben und studierte auf den Universitäten zu Erfurt, Köln und 
Frankfurt a. d. O. Von 1509—1511 führte er ein unstetes 
Wanderleben. Nachdem er sich zweimal längere Zeit in Italien 
aufgehalten und zu Bologna humanistischen und juristischen 
Studien obgelegen hatte, beteiligte er sich in Wort nnd Schrift 
an dem Streite seiner Familie gegen den Herzog Ulrich von 
Wirtemberg wegen Ermordung des Hans Hutten (seine 
vier Reden gegen den Herzog). Hierauf ging er 1517 in 
dre Dienste des Erzbischofs von Mainz, Albrechts von 
Brandenburg. Mit Eifer ergriff er die Sache der Refor¬ 
mation. In heftigen Streitschriften rief er das Volk zur Auf¬ 
lehnung gegen die römische Priesterherrschaft auf, doch starb 
er bereits 1523. 
Durch die Wiederherstellung der Wissenschaften wurde die 
kirchliche und mönchische Alleinherrschaft mittelalterlicher Bil¬ 
dung erschüttert. Zu dem humanistischen Gegensatze gegen das 
Mönchstum kam noch die didaktische und satirische Richtung 
der damaligen Volkslitteratur, welche gleichfalls gegen kirchliche, 
gesellschaftliche und staatliche Zustände ankämpfte (Fastnachts-
	        
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