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lernte Land und Leute kennen und musterte die Soldaten. Dies verstand er
sehr gut; denn von Jugend auf zeigte er viele Einsicht in Sachen/ welche
das Heer betrafen. Bald erhielt er den Oberbefehl über qroße £>eer=
Haufen.
Prinz von Preußen In Preußen führt der älteste Sohn des Königs
als Thronerbe den Titel „Kronprinz"; ist aber der König kinderlos, so
nimmt derjenige Prinz, welcher Thronfolger wird, den Titel: „Prinz von
Preußen" an. Da nun König Friedrich Wilhelm IV. keine Kinder hatte,
so wurde Prinz Wilhelm Thronfolger und hieß Prinz von Preußen. Sein
königlicher Bruder ernannte ihn zum General-Gouverneur vou Rheinland und
Westfalen, und als solcher wohnte er zu Koblenz am Rhein. Er hatte sich
mit Maria Aug usta, Prinzessin von Sachsen-Weimar (geboren am 30. Sep¬
tember 1811) vermählt. Das königliche Ehepaar hat zwei Kinder, den jetzigen
Kronprinzen Friedrich Wilhelm, welcher am 18. Oktober 1831 geboren
und mit Viktoria, Prinzessin von Großbritannien und Irland, verheiratet
ist, und die Prinzessin Luise, jetzt die Gemahlin des Großherzogs Friedrich
von Baden.
Die Regentschaft. Die prinzliche Familie lebte still und einfach am
Rheine und übte Mildthätigkeit an den Armen, wo Not uud Elend herrschte.
Als im Oktober 1857 König Friedrich Wilhelm sehr krank wurde, übernahm
der Prinz die Stellvertretung, damit die Regierung des Landes nicht leide.
Die Krankheit des Königs zeigte sich später unheilbar, und der Prinz führte
die Regentschaft unter dem Titel: „Prinz-Regent von Preußen."
Wilhelm 1., König von Preußen Am 2. Januar 1861 bestieg der
Prinz-Regent nach dem Tode seines Bruders den königlichen Thron nnter
dem Namen „Wilhelm I.", weil er der erste König von Preußen ist, der
Wilhelm heißt. -— Am 18. Oktober 1861 fand die feierliche Krönung zu Königs¬
berg statt. Bei dieser Gelegenheit sprach der König seine treue Liebe zum
preußischen Boise aus. Er gelobte, für das Land väterlich zu sorgen, und
gab der Hoffnung Raum, daß der allmächtige Gott feine Regierung segnen
werde. Freilich war es ihm später nicht vergönnt, dem Volke dauernd den
Frieden zu erhalten. Er wurde gezwungen, drei Kriege zn führen und zwar:
den dänischen Krieg (1864), den deutschen Krieg (1866), den deutsch-
französischen Krieg (1870—1871), wovou wir uoch weiterhin hören
werden.
Die Krönung zum Kaiser. Nachdem König Wilhelm über die Fran¬
zosen viele Siege erfochten hatte, erging an ihn von den deutschen Fürsten
und freien Städten der einmütige Ruf, er möge die deutsche Kaiserwürde
erneuen und übernehmen. Der König willigte ein, und so wurde er am 18. Ja¬
nuar 1871 in dem Schlöffe zn Versailles in Frankreich während des Krieges zum
deutschen Kaiser gekrönt. In dem Festsaale war ein Altar errichtet, welcher
mit rotem Sammet bedeckt und mit zwei goldenen Armleuchtern geschmückt
war. ^ Zu der Feier waren viele fürstliche Gäste erschienen. Nachdem
der Gottesdienst beendet war, verkündete der König mit bewegter Stimme,
daß er die ihm angebotene Kaiserkrone annehme. Darauf ließ er eine Be¬
kanntmachung an das deutsche Volk verlesen. In dieser heißt es: „Wir
übernehmen die kaiserliche Würde in dem Bewußtsein der Pflicht, in deutscher
Treue die Rechte des Reiches zu schützen, den Frieden zu wahren und die
Unabhängigkeit Deutschlands zu verteidigen." Darauf rief der Großherzog
von Baden mit lauter Stimme: „Es lebe hoch König Wilhelm, der deutsche
Kaiser." _ Nun erfolgte ein langer Jubelruf der großen Versammlung, wobei
dem Kaiser die hellen Thränen ans den Augen stürzten. Als jetzt der Kron¬
prinz von Preußen dem Kaiser durch Handkuß huldigte, da schloß der Vater
seinen Sohn in die Arme und küßte ihn wieder und immer wieder unter