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Alarich zum drittenmal tior Rom. Sein Tod.
Attalus. Der neue Kaiser ernannte Alarich sogleich zum Oberbefehlshaber aller Kriegs¬
völker des weströmischen Reiches. Nachdem Attalus unter dem Schutz/ der gotischen Waffen
feierlich in Rom eingeführt worden war, zog er mit Alarich vor Ravenna. Honorius er¬
klärte sich bereit, mit Attalus das Reich zu teilen; aber dessen fernere Unternehmungen und
seine Unfähigkeit machten ihn dem Alarich so verhaßt und verächtlich, daß dieser ihn absetzte
und die Zeichen der Herrschaft an Honorius saudte als Zeichen des Friedens und der
Freundschaft. Aber auch jetzt war Honorius nicht zum Frieden zu bewegen.
Alarich rückte zum drittenmal vor Rom. Er bemächtigte sich der Stadt ohne Be¬
lagerung, ohne eigentlichen Widerstand, durch Mittel uud Wege, die wir nicht weiter kennen.
Er hat Rom nicht erobert — er hat es besetzt am 24. August 410. Strenge Befehle hatte
er erlassen, das Leben wehrloser Einwohner uud die Kirchen, besonders den Vatikan zu
schoueu; die Befehle des Königs wurden beobachtet. So wird erzählt, daß ein Gote in die
Wohnnng einer christlichen Frau getreten sei und Gold uud Silber von ihr gefordert habe.
Die Frau holte es und gab es dem Krieger mit den Worten: „Dem heiligen Petrus sind
die Gefäße geweiht." Da meldete der Krieger seinem König vom gefundenen Schatz und
alsbald bewegte sich ein großer Zug von Goten durch die Straßen und brachte in feier¬
licher Prozession die Gefäße in die Kirche des Apostels; zahlreiche Römer, gerührt durch den
frommen Sinn ihrer Feinde, schlossen sich an.
Lüsten und kindischen Vergnügungen hingegeben, saß der Kaiser Honorius in Ravenna,
unbekümmert um das Leben seiner Untertanen, unbekümmert um die Verwüstung Italiens.
„Rom ist dahin!" meldete ihm ein Diener. Da fuhr der Kaiser aus seinem dumpsen Brüten
empor und erschrak bei der Kuude; er glaubte, es sei sein Lieblingshnhn, welches Roma
hieß. Als er vernahm, daß der Diener die prachtvolle Weltstadt Rom meine, wurde er
ruhig und fragte nicht weiter.
Alarich stellte die allgemeine Ordnung und das Übergewicht der katholischen Kirche,
das von Attalus und dessen Anhängern bedroht wurde, wieder her. Nur drei Tage ver¬
weilte er in der Stadt. Was er weiter vorgehabt und unternommen, ist schwer zu sagen.
In den Zusammenhang der Begebenheiten würde es eingreifen, wofür ein direktes Zeugnis
(Jornandes de reb. Got. c. 30) vorliegt, wenn man annehmen wollte, er habe die Absicht ge¬
faßt, nach Afrika zu gehen, um die Herbeischaffung der Lebensrnittel, deren die Stadt bedurfte,
ins Werk zu setzen. Attalus hatte es ihm versagt; nach dessen Sturze lag es ihm nahe, es
Zu versuchen. Weit verbreitet war die Nachricht, er habe einige Schiffe zusammengebracht,
um von Rhegium nach Sizilien überzusetzen; aber von den dunklen Mächten sei ihm Wider¬
stand geleistet worden, seine Flotte sei in der Meerenge vor seinen Augen untergegangen.
An der Schwelle seines größten Unternehmens, durch welches er Rom und Afrika zu be¬
herrschen gedachte, sei er plötzlich an einer Krankheit verschieden. Wundervoll ist die Sage,
nach welcher die gotische Kriegerschar den Fluß Busento bei Cosenza abgeleitet, den Goten¬
fürsten samt allen seinen Schätzen darin begraben und alsdann die Fluten wieder über das
Grab habe hinrauschen lassen. Ob sie gefürchtet haben, jede andere Grabstelle würde von
den Einwohnern zerstört werden? Art die Wiederaufnahme des mißglückten Unternehmens
war uicht zu denken.