Thomas von Aquin tritt in den Orben. In Köln und Paris.
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blößt zu werden. Die Doria und die Spinola konnten je 10—12 000 Bewaffnete auf¬
bieten, Ezzelino zog deren 10 000 aus Padua; Pavia stellte 2—3000 Reiter und 15 000
Waffenfähige zwischen 15 und 60 Jahren. Diese Angaben genügen, um einen Begriff zu
geben von der Dichtigkeit der Bevölkerung.
Müssen darum die langwierigen Parteikämpfe der Welfen und Ghibellinen immerhin
beklagt werden, ihre schlimmen Folgen kommen in keinen Vergleich mit denjenigen einzelner
Kriege des 16. oder späterer Jahrhunderte. Napoleons Feldzug in Rußland raffte in wenigen
Monaten mehr Menschenleben hin als alle Schlachten und Kämpfe der italienischen Republiken
im Mittelalter.
Thomas von Aquin.
Thomas von Aquin, der größte unter den Kirchenlehrern des Mittelalters, erblickte
das Licht der Welt um das Jahr 1225 zu Roccasecca, einem Schlosse seiner Familie im
Königreiche Neapel. Sein Vater war ein Graf von Aquhto, seine Familie eine der an¬
gesehensten des Adels. Erst fünf Jahre alt wurde der Knabe den Benediktinern aus Monte
Cassino zur Erziehung übergeben. Nach fünfjähriger Vorbereitung ging er nach Neapel,
wo Friedrich II. nicht lange vorher (1226) eine Universität gestiftet hatte. In weiteren sechs
Jahren beendigte Thomas die höheren Studien mit glänzendem Erfolge. Was aber viel mehr
sagen will, er erhielt mitten in dem allgemeinen Sittenverderben die Unschuld und Reinheit,
die er von Monte Cassino mitgebracht, unversehrt. Der Anblick jenes traurigen Sittenver¬
derbens trug viel dazu bei, daß in ihm der Entschluß zur Reife gelaugte, sich aus den Ge¬
fahren des Weltlebens in die Einsamkeit eines Klosters zurückzuziehen. Ohne daher von ber
Universität nach vollenden Stnbien noch einmal nach Hanse zurückzukehren, trat er uner¬
wartet 1213 in bett Orden des heiligen Dominikus ein. Seine Familie erschrak bei dieser
Kunde. Man wußte sich seiner zu bemächtigen unb ihn in einen Turm bes Schlosses
Roccasecca in sämtliche Haft zu bringen. Nur feine Schwestern bürsten ihn besuchen, um
ihn zu bereben, baß er von seinem Vorhaben abstehe. Der Erfolg war aber ein ganz ent¬
gegengesetzter. Thomas bewog bie Schwestern, ben Weltfreuben zu entsagen unb ein höheres,
geistiges Leben ber Liebe Gottes zu suchen. Was bie Schwestern nicht vermocht hatten,
wollten bie Brüber Laubuls unb Raiualb auf anberm Wege erzwingen. Wutentbrannt
über bie Beharrlichkeit bes Jünglings, ber, aus abtiger Familie entsprossen, sich einen Bettler-
orben wibmett wolle, rissen sie bem Gefangenen bas Orbenskleib vom Leibe unb nahmen zu
einem nieberträchtigen Bubenstück ihre Zuflucht, sie ließen ans Neapel eine burch körperliche Reize
unb Verführungskünste bekannte Dirne kommen unb brachten sie in bas Gemach bes Jünglings.
Kaum hatte Thomas bie schlechten Absichten bemerkt, als er ein brenuenbes Scheit vom Kamin
ergriff unb bie Verführerin ans bem Zimmer jagte. Darauf zeichnete er mit ber Kohle bes
Scheites ein Kreuz an bie Wanb unb warf sich vor bemselben im Gebete ttieber. Er schlummerte
ein unb sah in einer Vision, wie zwei Engel ihn umgürteten mit ber Verheißung, von nun an
werbe seine Keuschheit unverletzt sein. Die Sache kam zuletzt an ben Kaiser unb Friebrich II.
brang baraus, ben Gefangenen feinem felbstgewählten Beruf zu überlagert. Von ber Unmög¬
lichkeit überzeugt, seine Willensstärke zu besiegen, bewirkte nun seine eigene Mutter seine Flucht.
Er kehrte nach Neapel zurück, wo er ohne Verzug im Dominikanerorben bie Gelübbe ablegte.
Aus Befehl seiner Obern reiste er baraus nach Rom unb von hier nach Köln, um unter bem
Meister Albert bem Großen ben Stnbien obzuliegen. 1245 ging er mit feinem Lehrer
an bie Universität Paris, wo ihm seine Demut unb sein sanftes Wesen bie Liebe unb Ver-