Taufe des Königs. Canterbury Metropole. Augustin Erzbischof.
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Wohnung und übergab ihnen die Kirche des heiligen Martin. Angustin und seine Ge¬
hilfen erwiesen sich dieser Aufmerksamkeit vollkommen würdig. Nach dem Vorbilde des gött¬
lichen Stifters unserer heiligen Religion eröffneten sie die Mission in der Weise, welche allein
nachhaltige Wirkung hervorzubringen vermag und die höheren Verheißungen für sich hat,
sie bekräftigten durch ihr Leben, was sie zu verkünden anfingen. Sie fasteten und wachten,
führten ein reines und unschuldiges Leben, nahmen von ihren Zuhörern nichts an, als was
zum Unterhalte notwendig schien, und so konnte es nicht fehlen, daß das neue, noch nie
gesehene Schauspiel christlicher Frömmigkeit die kräftigen und gelehrigen Naturmenschen
mächtig ergriff und die himmlische Wahrheit wie ein erquickender Morgentau auf ihre heils¬
begierige Seele fiel. Bald bekehrten sich mehrere Sachsen, der König selbst ließ sich schon
am Pfingstseste (den 2. Juui d. I. 597) in der Kirche des heiligen Martin taufen. Es ist
ein eigentümliches, Ehrfurcht gebietendes, obschon unscheinbares Gebäude, von dem der Sieg
der römischen Rechtgläubigkeit über den Norden Europas ausgegangen. Auf einem auf¬
fallend gestalteten Hügel, der in grauer Vorzeit offenbar keltischen Druiden zur Opferstätte
gedient, auf dem dann Jüten oder Sachsen ihren Wodan oder Thor angerufen, stehen
uralte feste Grundmauern von nur geringer Ausdehnung, kaum größer, als die so mancher
Begräbnis- oder Wallfahrtskapelle. Römische Ziegel ragen noch zwischen den Quadern her¬
vor; diese Steine sind wahrscheinlich Zeugen jener weltgeschichtlich wichtigen Taushaudlung
gewesen, eines Ereignisses, fast so bedeutungsvoll wie der Übertritt Konstantins des Großen
oder Chlodwigs, des salischeu Franken. Zu Weihnachten desselben Jahres folgten 10000 Un¬
tertanen dem Beispiel ihres Herrschers in dem Empfang der Taufe. Darüber empfand
Äthelbert große Freude, um so mehr, als er niemand zum Bekenntnisse der christlichen Reli¬
gion gezwungen hatte; deun die Missionäre hatten ihn gelehrt, daß der Dienst Jesu Christi
ein freiwilliger sein müsse. Übrigens umfaßte er die Gläubigen als seine Mitgenossen des
himmlischen Reiches mit besonderer Liebe.
Noch vor dem Abschlüsse des Jahres 597 empfing Augustin nach Anordnung des
Papstes von Virgilius, dem Erzbischof von Arles und päpstlichen Vikar, die bischöfliche
Weihe; Cauterbury wurde die Metropole des neuen Erzbischofs; denn diese Stadt hatte ihm
der König zum Wohnsitze überlassen. Mit der neuen Würde bekleidet und mit der Fülle des
heiligen Geistes ausgerüstet, steigerte uuu Augustin seine apostolische Tätigkeit. Weil die
Martinskirche für die Menge der Gläubigen nicht mehr ausreichte, suchte er bei dem König
um die Zurückgabe einer andern, ursprünglich ebenfalls von den Briten erbauten Kirche
nach, erhielt sie, weihte sie auf deu Namen des heiligsten Erlösers ein und bestimmte sie zu
seiner und seiner Nachfolger Kathedrale nud Residenz; hier führte er mit seiner Geistlichkeit
ein gemeinschaftliches und klösterliches Leben, eine Lebensweise, welche in den ersten Zeiten
der englischen Kirche von den meisten Bischöfen mit ihrem Klerus nachgeahmt wurde nud
die Erhaltung des echten priesterlichen Geistes ungemem begünstigte.
In einem höhern Grad als die Gotteshäuser mehrten sich im Umfang des ganzen
Königreiches von Tag zu Tag die christlichen Gemeinden. Mit dem Beginne des 7. Jahi>
hunderts mag der größte Teil von Kent bereits dem Christentum gehuldigt haben. Wie
jubelte Gregors Herz, daß der schäumende Ozean sich unter den Füßen der Heiligen beugte,
daß das einfache Wort der Priester die furchtbarsten Leidenschaften besiegte und daß die Fürsten,
welche das Schwert nicht bändigen konnte, nnd die Tapfern, welche die Kohorten nicht fürch¬
teten, jetzt auf die Rede schwacher Priester demütig achteten. Nach dem Plane des Papstes
sollten in England zwei Metropolitanstühle, zu London und zu Iork, jeder mit 12 Bis¬
tümern, errichtet werden; Augustin aber sollte, solange er lebte, alleiniger Erzbischof sein.