Full text: Charakterbilder aus der Geschichte der Apostasie der Völker (Band 3)

Maria Stuart befreit, unterliegt im Kampfe. Lange Gefangenschaft. Ungerecht verurteilt. 163 
Schlafgemach der Königin, mit dieser wechselte sie die Kleider und bestieg, einen Pack Wäsche 
tragend, an ihrer Statt den Kahn. Schon hatte sie beinahe das jenseitige Ufer des Sees 
erreicht, als der Ruderer sie an der zarten weißen Hand erkannte. Georg floh vor der 
Rache seiner Verwandten und überließ die Befreiung der Königin einem sechzehnjährigen 
Waisenknaben, der kleine Donglas genannt. Fünf Wochen verstrichen, ehe dieser eine günstige 
Gelegenheit fand. Eines Abends entwendete er geschickt die Schlüssel, rief die Königin, 
führte sie aus dem Schlosse, sperrte das Tor auf und warf die Schlüssel in den See. 
Ein Kahn war in Bereitschaft und am Ufer harrte Georg Douglas. Sogleich erhob sich 
für Maria Stuart ein Teil des Adels. Aber als Murray mit einer kleinen Schar auf 
der Anhöhe Langside erschien, wandte ihr Gefolge nach einem hitzigen Gefechte den 
Rücken und floh. Die trostlose Königin ritt noch am nämlichen Tage 60 Meilen weit. Ihre 
Feinde verfolgten sie nach allen Richtungen, doch sie entging ihnen. Endlich am Morgen 
des dritten Tages erklärte sie, sie fei entschlossen, am Hofe ihrer guten Schwester, der 
Königin von England, Zuflucht zu suchen. Ihre besten Freunde machten Gegenvorstellungen, 
der Erzbischof von S. Andrews beschwor sie kniend, ihren Entschluß zu ändern; sie aber 
traute den ihr erteilten Versicherungen, befahl, Elisabeth einen Diamantring zu bringen, den 
diese ihr als Pfand ihrer Zuneigung und ihres Beistandes gegeben, fuhr in einem Fischer¬ 
kahne über deu Solwaysirth und ging nach Carlisle. Aber statt der Hilfe fand die un¬ 
glückliche Königin eine harte, schreckliche Gefangenschaft von 18 laugen, schweren Jahren. 
Bothwell, der nach Dänemark geflohen war, wurde dort verhaftet. Als er iit Malmö 
1576 auf dem Sterbebette lag, fragte ihn der Bischof von Seone feierlich in Gegenwart 
vornehmer Dänen, wie es sich mit dem Tode Darnleys verhalte. Der Graf erklärte, die 
Königin fei unschuldig daran, er selber, seine Verwandten und einige vom Adel hätten den 
Mord auf dem Gewissen. Und dennoch ließ die treulose, arglistige Königin von Englaud 
Maria Stuart noch zehn Jahre dafür büßen. Alle Versuche zu ihrer Befreiung wurden 
als ebenso viele Komplotte gegen die englische Königin erklärt. Als endlich ein Edelmann 
Babington wirklich eine Verschwörung zustande brachte, um mit auswärtiger Hilfe Elisabeth 
vom Throne zu stürzen und zu ermorden und Maria zur englischen Königin auszurufen, 
glaubte Elisabeth ihr eigenes Leben gefährdet, solange Maria am Leben sei. Man suchte 
sie in das hochverräterische Komplott zu verwickeln, nm mindestens einen Schein von Ge¬ 
rechtigkeit bei ihrer Ermordung zu haben. In ihrem feurigen Verlangen nach Freiheit be¬ 
antwortete sie Briese der Verfchworneu; sie mahnte, ja nichts zur Erhebung der Katholiken 
zu unternehmen, bis der Einfall der Spanier sicher fei; denn sie übertrug ihre Rechte auf 
England Philipp II. als dem großen Verteidiger der katholischen Religion. Die Verfchworneu 
wurden hingerichtet und Maria vor ein Gericht gestellt. Sie gestand, allerdings danach 
gestrebt zu haben, die ihr widerrechtlich entzogene Freiheit wieder zu erlangen, auch mit aus¬ 
wärtiger Hilfe, aber sie leugnete entschieden, irgend etwas gegen Elisabeths Regierung und 
Leben unternommen zu haben. Die Briefe an Babington, welche man gegen sie vorlegte, 
waren durch einen gewissen Phelipes gefälscht. Die Erklärung der Mitschuldigen Babingtons, 
daß Maria von der Verschwörung gewußt und sie gutgeheißen habe, war durch die Folter 
erpreßt sowie die Aussagen ihrer Sekretäre, daß sie in die Sache vollständig eingeweiht ge¬ 
wesen fei. Das Verfahren gegen sie war das gesetzwidrigste. In Fotheringay vernahm man 
die Angeklagte ohne Zeugen und in Westminster die Zeugen ohne die Angeklagte. Maria 
staut) allein, ohne Anwalt. Man wollte eben mit größter Parteilichkeit nur einen Schein 
von Recht gewinnen, sie zu verurteilen. Die Kommissäre erkannten sie einstimmig für schul¬ 
dig. Lord Buckhurst benachrichtigte Maria Stuart von dem Urteil und ermahnte sie, keine 
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